Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

rischen Würdenträgern bildeten die Ernte, welche nun 
die Magnaten in ihre Scheune brachten. Das „Oktober¬ 
diplom“.welches ein durch Beschickung seitens der stän¬ 
dischen Landtage gebildetes Zentralparlament von 100 Mit¬ 
gliedern schuf, war also das neue von Franz Joseph aus 
eigenem Entschluß und ausschließlich aus seiner unbe¬ 
schränkten Machtvollkommenheit erlassene Reichsver¬ 
fassungsgesetz. Sein Grundgedanke ging dahin, das von 
Schwarzenberg geschaffene „Einheitsreich“ dadurch zu 
erhalten, daß es auf die geschichtliche Grundlage der 
habsburgischen Monarchie, auf die historisch-politischen 
Individualitäten der Länder aufgebaut und ihm dadurch 
ein föderalistischer Charakter verliehen wurde. Die un¬ 
garischen Altkonservativen hatten die von Szecsen im 
Reichsrate vorgetragene Doktrin vom föderativen Wesen 
des Reiches ihren böhmischen und österreichischen Stan¬ 
desgenossen zuliebe angenommen; ihnen aber handelte 
es sich nur darum, ihren eigenen historischen Landtag 
als bedeutendsten von den ganzen neu berufenen Landes¬ 
vertretungen des Reiches wiederzubekommen. Dafür waren 
sie bereit, das als „weiterer“ Reichsrat bezeichnete Zen¬ 
tralparlament durch Entsendung von Delegierten zu be¬ 
schicken, und hatten zugestimmt, daß der diesem Reichs¬ 
rat zustehende Kreis der Reichsgesetzgebung sich auch 
auf Ungarn erstrecke. Damit waren vor allem das Reichs¬ 
budget, das gemeinsame Wirtschaftsgebiet des Reiches 
und das gemeinsame Heer als Reichsangelegenheiten fest¬ 
gestellt. Zugleich mit der Verkündigung dieses neuen 
Reichsgrundgesetzes wurden zwei Führer der ungarischen 
Altkonservativen zu Mitgliedern der Wiener Reichsregie¬ 
rung ernannt, Graf Szecsen zum Minister ohne Portefeuille 
und Baron Vay zum ungarischen Hofkanzler und Leiter der 
ungarischen Angelegenheiten an oberster Stelle. 
Die Verfassungsmixturen, welche die politischen Al¬ 
chimisten des Hochadels in den politisch ziemlich „luft¬ 
leeren“ Räumen ihrer Paläste glücklich zusammengebraut 
hatten, waren aber für sie und noch mehr für Franz 
Joseph doch nur ein Experiment. Alles kam darauf an, 
wie sich dieses wundersame Produkt hochadeliger Staats¬ 
kunst in der Außenwelt, namentlich in der nichtadeligen 
Atmosphäre des 19. Jahrhunderts, wie sie das Leben, die 
Ideen und Bestrebungen der verschiedenen Völker des 
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