Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

seinem Schmerzenslager eine Erleichterung, daß er zugleich 
mit seinen armen Soldaten in Mailand dulde, die dort so 
feige überfallen worden seien. Daß unter dem Eindrücke 
dieses Erlebnisses auch beim Kaiser die Zweifel sich ver¬ 
stärkten, die bei ihm schon einige Monate früher auf¬ 
getaucht waren, was die Leistungsfähigkeit des ganzen, 
ihn umgebenden polizeilichen Systems betraf, sprach gewiß 
nicht zu seinen Ungunsten. Daß er den Mörder nicht be¬ 
gnadigte, sondern vielmehr der Gerechtigkeit freien Lauf 
ließ, ist nicht verwunderlich. Daß er der durch die Hin¬ 
richtung ihres Sohnes und Ernährers beraubten Mutter 
Libenyis eine kleine Pension anweisen ließ, bezeugt die 
Gutmütigkeit Franz Josephs, die er in allen den Fällen, 
in denen nicht Politik seine ursprünglichen Gefühle wir¬ 
kungslos machte, an den Tag legte. 
Yon da an drängte der Kaiser seine Minister und mili¬ 
tärischen Ratgeber unablässig, sich über die von ihm 
längst angeregte Aufhebung des Belagerungszustandes in 
Wien und Prag zu einigen. Als dies nicht gelang, verfügte 
er am 1. September diese Maßregel aus eigener Machtvoll¬ 
kommenheit. 
Das Schlimmste für den jungen Kaiser war eben doch 
seine engere Umgebung, waren seine vertrauten Berater. 
Das wußten die breiten Massen der Wiener Bevölkerung 
sehr gut, die alle diese Männer genau kannten und richtig 
beurteilten, den Grafen Grünne, den Grafen Gyulai und 
den Polizeiminister General Freiherrn von Kempen. Diese 
Männer und vereint mit ihnen Erzherzogin Sophie und der 
Erzbischof Rauscher verstanden es mit bestem Erfolge, 
jeden anderen Einfluß auf den Kaiser auszuschalten. Franz 
Joseph sah und hörte buchstäblich nie einen freien, un¬ 
abhängigen Mann, nicht einmal Männer solchen Schlages 
vom hohen Adel; und auch seine Minister sah er nicht 
häufig und, wenn es geschah, zumeist nur zur Erledigung 
von Akten. Seine ganze Umgebung war schon daran ge¬ 
wöhnt, daß der junge Kaiser selbst immer das Gespräch 
bestimmte und jeden Versuch, aus freien Stücken mit ihm 
zu sprechen, energisch ablehnte. Vor allem aber sah Franz 
Joseph keine von den führenden ungarischen Persönlich¬ 
keiten. Selbst die „schwarz-gelb“ gesinnten Magnaten sah 
er nur bei Hoffesten und nicht zu irgendwelcher politischer 
Unterredung bei sich. 
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