Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

sehen Freude am Plaudern oder, besser wienerisch gesagt, 
„Plauschen“, noch weniger hatte er Lust, sich selbst zu 
hören, wohl schon deswegen, weil ihm in seinen zwanzig 
Lebensjahren so viel von ernsten und unangenehmen Din¬ 
gen zu hören und darüber sprechen zu müssen vom Schick¬ 
sal auferlegt worden war. Übrigens hatte er aber von 
Natur aus nicht die geringste Begabung für das, 
was man „small talk“ nennt. Er wußte, daß seine An¬ 
schauungen nicht mit den Ideen seiner Zeit und Gene¬ 
ration, vor allem der bürgerlichen Klasse, vereinbar waren, 
und er wußte auch, daß diese Ideen in Deutschland mehr 
verbreitet und stärker waren, als in seinem eigenen Reich. 
Aber er verhehlte sich zugleich keineswegs, daß in Öster¬ 
reich eine nicht ganz unbedeutende Schichte der Bevölke¬ 
rung solche fortschrittliche Anschauungen besaß, die er 
kurz und, wie er glaubte, treffend „Revolution“ zu nennen 
pflegte. Er empfand nur keine Notwendigkeit, diese neue 
Zeit, der er innerlich aufs schärfste widerstrebte, selbst 
näher kennenzulemen, und schon gar nicht dachte er 
daran, sich mit ihren Vertretern auseinanderzusetzen. 
Darum las er auch keine politischen Schriften oder Bücher 
solcher Art; er hat damals und auch späterhin nur sehr 
selten Bücher gelesen. 
Dazu kommt, daß er schon als ein so junger Mann dazu 
angehalten wurde, unermüdlich schriftliche Berichte, Kor¬ 
respondenzen, Akten und Memoranden zu lesen. Das tat er 
zunächst als seine Pflicht und daraus wurde schließlich 
für ihn eine der stärksten Gewohnheiten. So kam es, daß 
er auch kaum Zeitungen las, denn sie wurden ihm in der 
Form einer sorgfältig vorbereiteten Zeitungsschau schrift¬ 
lich zusammengestellt, wodurch er allerdings Zeit ersparte. 
Man sieht schon aus dem bisher Gesagten, woran es in 
der Zeit von Franz Josephs Selbsterziehung erheblich man¬ 
gelte, daß er nämlich außer seinen hohen Offizieren und 
Beamten außerhalb des Hofes überhaupt keinen Verkehr 
pflegte, daher kaum Gelegenheit hatte, sie auch gar nicht 
wünschte, die Völker seines Reiches, vor allem das 
Bürgertum kennenzulernen. Dem standen innere und äußere 
schier unüberwindliche Hindernisse entgegen. Wie hätte 
der zwanzigjährige allerhöchste Kriegsherr und Kaiser 
— bald auch sein eigener Minister —, solche Beziehungen 
und Erkenntnisse erwerben können? Da ihm von früh bis 
12 Redlich, Kaiser Franz Joseph 
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