Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

die Herrschaft auf der Balkanhalbinsel zuzugestehen. 
Schon 1769 hatte Kaiser Joseph II. zu Friedrich II. bei der 
Zusammenkunft in Neiße gesagt: „Ich werde niemals die 
Russen in die Moldau und Walachei, viel weniger nach 
Serbien lassen“. Dieser Standpunkt und nicht die von 
Metternich befolgte Politik des Nachgebens gegen Ru߬ 
land in den orientalischen Problemen deckte sich auch 
mit der Auffassung, die Franz Joseph von den Interessen 
seines durch Schwarzenberg geschaffenen Einheitsreiches 
sich gebildet hatte. Aber darüber hinaus zu gehen hatte 
er nicht den geringsten Anlaß. Yom Standpunkte der In¬ 
teressen des österreichischen Selbstherrschers mußte der 
Versuch der Westmächte, eine wirkliche europäische Al¬ 
lianz gegen den russischen Zaren zu bilden, als Widersinn 
und als eine eigene Gefährdung erscheinen. Als in den 
kritischen Tagen während der Entfaltung des russischen 
Gegensatzes zu den Westmächten fast die ganze österrei¬ 
chische Generalität und fast der ganze Hochadel unter 
Führung des Fürsten Windischgrätz gegen die vom Grafen 
Buol vertretene und von diesem dem Kaiser eingeflößte 
Idee offenen Krieges gegen Rußland aufs schärfste Stellung 
nahmen, mußte sich Franz Joseph doch darauf besinnen, 
daß er schon durch seine kurze kaiserliche Vergangenheit, 
vor allem durch die von Schwarzenberg und Kübeck ihm 
aufgebaute absolutistische Stellung im Innern seines zen¬ 
tralistisch beherrschten Einheitsreiches an eine bestimmte 
Außenpolitik gebunden war. Ob Schwarzenberg dies zur 
rechten Zeit verstanden und dementsprechend einen Bruch 
mit Rußland um jeden Preis verhindert hätte, wissen wir 
nicht. Ihm ersparte der Tod, die Lösung dieses Problems 
finden zu müssen. Daß Franz Joseph in diesem so außer¬ 
ordentlich wichtigen Falle nicht tief genug gesehen hat, 
beweist der ganze unberechenbare Charakter seiner diplom¬ 
tischen Aktion. Darin liegt eine neuerliche Bestätigung 
dafür, daß Franz Joseph nicht die notwendige geistige 
Kraft besessen hat, um seine innere und äußere Politik als 
ein organisches Ganzes zu erfassen und die eine jeweils 
von der anderen mitbedingen zu lassen. Denn daß in der 
modernen Gesellschaft innere und äußere Politik auf die 
Dauer niemals voneinander unabhängig betrieben werden 
können, diese Grunderkenntnis des europäischen Staats¬ 
mannes im 19. Jahrhundert hat Franz Joseph jedenfalls nie¬ 
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