Volltext: Bis Ende Juni 1915 ([1] ; 1915)

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die Vorschläge zu verwirklichen, die in den vom Herrenhause schon verab¬ 
schiedeten Entwürfen der Novelle zmn bürgerlichen Gesetzbuch und zum Straf¬ 
recht enthalten waren. 
Die wesentlichen Unterschiede des neuen Rechtes gegenüber dem 
früheren sind folgende: 
Das bürgerliche, und das Strafrecht hatten bisher nur den Kredit- 
wucher ins Auge gefaßt. Die Stundung der in Geld oder in anderen ver¬ 
tretbaren Sachen bestehenden Gegenleistung ist aber nicht das einzige oder 
auch nur das regelmäßige Geschäft, bei dem wucherische Bedrückung vor¬ 
kommt. Auch besteht bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines solchen 
Geschäftes kein Grund, zwischen Kreditwucher und Sachwucher zu unter¬ 
scheiden; denn das Wucherische eines Geschäftes kann zum Beispiel bei einem 
Austanschgeschäfte nicht minder verwerflich und gefährlich sein als bei einem 
Kreditgeschäfte. Das neue Recht erklärt daher gleich dem deutschen bürger¬ 
lichen Gesetzbuche jeden wucherischen Vertrag als nichtig und ergreift damit 
auch den Sachwucher. 
Einzelne Merkmale des Wucherbegriffes sind geändert worden. Die 
wirtschaftliche Schwäche wird als „Zwangslage" statt als „Notlage" bezeichnet. 
Das neue Recht verlangt nicht, daß die versprochenen oder gewährten Ver¬ 
mögensvorteile geradezu inaßlose seien; es genügt, wenn Leistung und Gegen¬ 
leistung in auffallendem Mißverhältnisse stehen. Es wird schließlich — und 
dies ist die wichtigste Abweichung in den Begriffsmerkmalen — nicht mehr 
gefordert, daß das Geschäft das wirtschaftliche Verderben des anderen Ver¬ 
tragsteiles herbeizuführen oder zu befördern geeignet sein müsse, bekanntlich 
ein Merkmal, das in der Praxis eine weite Lücke offen gelassen und ins¬ 
besondere unmöglich gemacht hatte, dem gewerbemäßigen Wucher bei- 
znkommen. 
Dafür, daß nicht jede geschäftlich berechtigte Benutzung wirtschaftlicher 
Verhältnisse nachträglich unter der Beschuldigung wucherischer Übervorteilung 
angefochten werden könne, bietet die Bezeichnung der Handlung als „Aus¬ 
beutung" genügenden Schutz, da darin der Hinweis auf den sittlich anstößigen 
und von Rechts wegen zurückzuweisenden Mißbrauch der starken Stellung 
des einen Vertragsteiles gegenüber einem vor keine Wahl gestellten oder 
der richtigen Einsicht in die Bedeutung des Geschäftes entbehrenden Ver¬ 
tragsgegner gelegen ist. 
Nach früherem Rechte konnte die Einwendung des Wuchers bei 
Handelsgeschäften nicht erhoben werden, bei denen beide Vertragsteile Kauf¬ 
leute waren. Diese Ausnahme ist gefallen, weil damit gerade der auf Kredit 
aufgebaute kaufmännische Verkehr der Ausbeutung preisgegeben worden war. 
Sowohl der Kreditwucher wie der Sachwucher sind nunmehr strafbar, 
letzterer jedoch mit zwei Beschränkungen. 
Der Tatbestand erfaßt beim Sachwucher bloß Geschäfte, die den 
Erwerb oder die Veräußerung einer Sache oder eines Rechtes zum Gegen¬ 
stände haben, nicht aber auch Verträge über persönliche Leistungen. 
Die Strafbarkeit des Sachwuchers ist ferner mit Rücksicht auf die 
Neuheit der Strafdrohung nach dem Vorbilde des deutschen Rechtes auf die 
gewerbemäßige Begehung eingeschränkt.
	        
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