Volltext: 100 Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges

Bevölkerung hungert, daß täglich Scharen von hungernden 
deutschen Soldaten und Arbeitsmännern nach Polen desertieren, 
daß das deutsche Kriegsmaterial von sehr fragwürdigem Wert 
sei, daß die deutsche Außenpolitik eine Niederlage nach der 
anderen erleide. Ebenso ist es den polnischen Propaganda¬ 
stellen gelungen, die öffentliche Meinung weitgehend davon 
zu überzeugen, daß ein Kampf um Danzig einen Kampf um 
die Unabhängigkeit Polens bedeutet. Auch in den Schichten 
der Intelligenz, die über einige Ausländserfahrung verfügen 
und daher das wahre Kräfteverhältnis zwischen Deutschland 
und Polen richtig einzuschätzen vermögen, ist der Wider¬ 
standsgeist noch unvermindert vorhanden. Selbst für den Fall, 
daß Polen im Laufe eines Krieges gänzlich von deutschen 
Truppen besetzt würde, ist man davon überzeugt, daß Polen 
letzten Endes dank dem Siege der Koalition größer und mäch¬ 
tiger denn je wieder erstehen müsse. Eine gewisse Neigung 
zum Vabanque-Spiel, die im polnischen Charakter liegt, ver¬ 
leitet sogar jetzt manche zu der Auffassung, daß Polen, um 
dem zermürbenden Einfluß der langdauernden Krise ent¬ 
gegenzuwirken, eher früher als später losschlagen solle. Diese 
ganze optimistische Einstellung hat freilich zur Voraus¬ 
setzung, daß das Vertrauen auf die Bundesgenossen, im be¬ 
sonderen auf England, unerschüttert bleibt. Wenn in dieser 
Hinsicht der Mißerfolg der polnisch-englischen Anleihe¬ 
verhandlungen unzweifelhaft eine gewisse Nervosität hervor¬ 
gerufen hat, so hat andererseits die polnische Propaganda das 
Ihrige getan, den Schlag zu parieren. Man wird daher gut 
tun, diese Vorgänge und ihre Rückwirkung nicht zu über¬ 
schätzen. 
Die vier Monate der polnischen Spannungen und der pol¬ 
nischen Teilmobilisierung haben, wie aus den vorstehenden 
Ausführungen hervorgeht, bisher keinen Einfluß auf die 
moralische und materielle Widerstandskraft der Polen gehabt. 
Bei dem Vertrauen der Polen in ihre Bundesgenossen, das 
vornehmlich von englischer Seite propagandistisch mit Sorgfalt 
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