Volltext: Conrad von Hötzendorf

AN DER SCHWELLE DES JENSEITS 
Liebe sorgsam vor dem Einblick jedes Profanen zu hüten. Doch 
wer vermag die Tiefen einer Frauenseele zu ergründen, deren 
Schicksal es war, nach den Irrwegen einer unverstandenen Ehe 
auf die Höhen der idealen, gewaltigen Neigung eines Mannes 
von weltgeschichtlicher Bedeutung geführt zu werden? 
In vielen Stunden vertrauter Aussprache mit Conrads Witwe, 
die heute, viele Jahre nach seinem Tode, keinen anderen Ge¬ 
danken, kein anderes Gesprächsthema kennt als ihren unverge߬ 
lichen großen Toten, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß diese 
Frau nur von der Idee beherrscht war, den Mann, der ihr als 
das Höchste schien, noch größer erscheinen zu lassen, indem 
sich zu hohen Vorzügen des Geistes noch die Fähigkeit zu einer 
reinen, vollendeten Liebe gesellte. 
Möge im ausgleichenden Gedenken an unseren verewigten 
Marschall jede Kritik vor der treuen Hingabe verstummen, die 
Conrads zweite Frau ihm bis an sein Ende bewahrt hat. 
In treuer Anhänglichkeit umstanden die deutschen Freunde 
des Feldmarschalls sein Krankenbett; alle großen Führer waren 
erschienen, um ihm ihre Verehrung zu erweisen. 
In diesen Tagen, da Conrad den Tod nahen fühlte, durch¬ 
forschte er nochmals sein Leben und prüfte, wie er an der 
Schwelle des Jenseits über die Dinge dachte, die ihm einst so 
wichtig erschienen waren. 
Der Zufall fügte es, daß anläßlich eines Besuches des jüngsten 
Sohnes seiner Gattin dessen Professor, Pater Streicher der be¬ 
rühmten „Stella matutina“, nach Mergentheim kam. Mit ihm trat 
Conrad bald in regen Verkehr, den er nicht mehr missen konnte 
Dieser verständige Jesuit hat die äußerliche Aussöhnung Con¬ 
rads mit der Kirche angebahnt. Die Aufgabe wurde ihm nicht 
schwer, denn Conrads Bruch mit den kirchlichen Vorschriften 
war ohne Rückwirkung auf seine sittliche Lebensauffassung ge¬ 
blieben. Die Aussprachen mit diesem eifrigen Diener des Herrn 
halfen Conrad, den Weg zur Religion seiner Kindheit zurück¬ 
zufinden. Diese Einkehr hat den Vertretern der katholischen 
Kirche die Möglichkeit gegeben, ihn mit ihren Segnungen zur 
ewigen Ruhe zu bestatten. 
Die letzte Nacht verlief verhältnismäßig ruhig. Wenn Conrad 
die Augen öffnete, glitt sein Blick voll zärtlicher Dankbarkeit 
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