Volltext: Der Staatsvertrag von St. Germain

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siegreichen Alliierten der Berantwottlichkeit für die Handlungen entziehen, die von einer Regierung, die 
die ihrige war und ihren Sitz in ihrer Hauptstadt hatte, begangen wurden. 
Wenn das österreichische Volk während der Jahre, die dem Kriege vorausgegangen find, sich 
bemüht hätte, den Geist des Militarismus und der Herrschsucht, von dem die Regierung der Monarchie 
beseelt war, zu erdrücken, wenn cs einen wahrhaften Protest gegen den Krieg erhoben hätte, wenn es 
verweigert hätte, seine Machthaber in der Absicht, den.Krieg fortzuführen, zu unterstützen und zu 
erhalten, so könnte man jetzt der erwähnten Verteidigung einige. Aufmerksamkeit schenken. Aber der Krieg 
wurde rm Augenblicke seiner Erklärung in Wien stürnsisch begrüßt, das österreichische Volk war von. 
Beginne bis zum Ende sein glühender Parteigänger, es hat bis zur endgültigen Niederlage auf dem 
Schlachtfelde nichts getan, um sich von der Politik seiner Regierung und seiner Verbündeten zu trennen. 
Angesichts so vieler offenkundiger Beweise muß das österreichische Volk entsprechend den geheiligten Regeln 
der Gerechtigkeit gezwungen werden, seinen vollen Anteil an der Verantwortlichkeit, für das Verbrechen, 
das über die Welt ein solches Unheil gebracht hat, auf sich zu nehmen. Hierzu kommt: Die alliierten und 
assoziierten Mächte fühlen sich verpflichtet, festzustellen, daß die Politik der ehemaligen Habsburger im 
Wesen eine Politik geworden war, die die Hegemonie des deutschen und magyarischen Volkes über die 
Mehrheit der Einwohner der österreichisch-ungarischen Monarchie aufrechterhalten sollte. Die ehemalige, jetzt 
erschöpfte Autokratie mit ihren militärischen Traditionen hat sich dank der kräftigen Unterstützung der 
Einwohner Österreichs und Ungams erhalten laffen und hat ihnen die > politische und wirtschaftliche 
Herrschaft über ihre Landsleute gesichert. Dieses System der Herrschaft und Bedrückung, das den einen 
Bolksstamm zum andern in Widerspruch gebracht und dem das österreichische Volk seine ständige Unter¬ 
stützung gewährt hat, war eine der tiefsten Ursachen des Krieges. Es hat an den Grenzen Österreich- 
Ungarns jene irredentistischen Bewegungen gezeitigt, die in Europa den Gärstoff der Erregung erhalten 
haben. Es hat jenen Zustand der zunehmenden Abhängigkeit Österreich-Ungarns gegenüber Deutschland 
herbeigeführt, dessen Wirkung die Unterordnung der österreichisch-ungarischen Politik unter die alldeutschen 
Herrschaftspläne war. Es hat schließlich zu einer Lage geführt, in der die Leiter der Monarchie kein 
anderes Mittel erblickt haben, um ihre eigene Macht zu erhalten, als wissentlich die Freiheit eines 
kleinen unabhängigen Staates anzugreifen, der den Weg nach Konstantinopel und dem Orient versperrte 
und der inmitten seiner bedrückten Brüder die Erkenntnis der Freiheit wacherhalten hatte. Auch kann 
- .nach Ansicht der ^.alliierten und assoziierten Mächte unmöglich die Verteidigung der österreichischen 
Delegatton anerkannt werden, wonach das österreichische Volk die Verantwortlichkeit der Regierung nicht 
teile, die den Krieg herbeigeführt hat ünd wonach es sich der Verpflichtung entziehen könnte, bis zur 
äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit jene Personen zu eittschädigen, denen es gemeinsam mit der 
Regiemng, die es gestützt hat, so schwere Übel zugefügt hat. Die Gmndsätzc, a»f denen der Friedens- 
Vertrag aufgebaut war, müssen also auftechterhalten werden. Das österreichische Volk ist und bleibt bis 
zur Untcbfertigung des Friedens ein feindliches Volk. Nach Unterferttgung des Friedens wird Österreich 
ein Staat werden, mit dem die alliierten und assoziierten Mächte ftenndschastliche Beziehungen unter¬ 
halten zu können glauben. 
2. Die österreichische Delegation hat ebenso gegen jene Bestimmungen des Vertrages protestiert, die dft 
Beziehungen Österreichs mit den neugegründeten Staaten auf den Gebieten der alten Monarchie regeln. 
Die alliierten und assoziierten Mächte halten sich für verpflichtet, hervorzuheben, daß die Schwäche, unter 
der Österreich zu leiden haben wird, nicht die Folge der Bestimmungen des Vertrages ist. Sie entspringt 
, vielmehr der Politik der Vorherrschaft, die das österrKchische Volk in der Vergangenheit eingehalten hat. 
Wenn die Politik Österreich-Ungarns eine Polittk der Großmut und der Gerechtigkeit gegenüber allen ihren 
Untertanen gewesen wäre, so hätten die Staaten der oberen Donau eine ökononiischc und politische 
Einheit sowie frendschaftliche Beziehungen erhalten können. , Tatsächlich war die Polittk der Hegemonie 
die Ursache einer der grausamsten Tragödien des letzten Krieges: Man sah Millionen von Menschen, 
die jenen Völkern angehören, die Österreich-Ungarn unterworfen waren, unter Todesstrafe 
gezwungen, gegen ihren Willen in den Reihen einer Armee zu kämpfen, die gleichzeitig den 
Zweck verfolgte, ihre eigene Knechtschaft zu einem dauernden Zustande zu machen und das Werk 
„Zerstörung der Freiheit Europas" zu vollenden. Unter diesen Völkern haben viele gegen den Krieg 
Protest erhoben, sie haben hierfür die Konfiskation ihrer Güter, die Gefangenschaft und den Tod 
erduldet. Biele andere als jene, die gefangengenommen wurden oder geflüchtet sind, haben sich in den 
Armeen der Alliierten verdungen und im Befreiungskriege'ihre Rolle gespielt. Jetzt sind alle ausnahmslos 
und mit vollem Recht entschlossen, sich zu selbständigen Staaten zu konstituieren. Sie wollen nicht mehr 
Wien vertrauen. Die Politik der Vorherrschaft hat als unvermeidliche Folge die Zertrümmerung nach 
sich gezogen und aus dieser Zertrümmerung ist die gegenwärtige bedrängte Lage Österreichs erwachsen. 
Man hat aus Men den wirtschaftlichen und politischen Mittelpunkt des Reiches gemacht; alles war 
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