Volltext: Österreichisch-ungarisches Rotbuch

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— selbst den an Ausbrüche des hier herrschenden politischen 
Fanatismus seit langem Gewöhnten mußten diese Wahr¬ 
nehmungen aufs äußerste deprimieren! 
6. 
Freiherr von Giesl an Graf Berchtold. 
Belgrad, 21. Juli 1914. 
Ich bin nunmehr — nach dem unglückseligen Verbrechen 
vom 28. Juni — wieder seit einiger Zeit auf meinem Posten 
und kann mir erlauben, über die hier herrschende Stimmung 
ein Urteil abzugeben. 
Seit der Annexionskrise, waren die Beziehungen zwischen 
der Monarchie und Serbien auf Seite des letzteren durch natio¬ 
nalen Chauvinismus, Feindseligkeit und eine wirksame Propa¬ 
ganda der großserbischen Aspirationen in unseren von Serben 
bewohnten Ländern vergiftet, seit den letzten beiden Balkan¬ 
kriegen hat der Erfolg Serbiens diesen Chauvinismus zum 
Paroxismus gesteigert, dessen Ausbrüche stellenweise den 
Stempel des Wahnsinns tragen. 
Es sei mir erspart, hiefür Beweise und Beispiele erbringen 
zu müssen, sie sind überall und immer in den Kreisen der 
politischen Gesellschaft wie unter dem niederen Volke, in 
allen Parteien billig zu haben! Ich stelle es als bekanntes 
Axiom hin, daß die Politik Serbiens auf die Abtrennung der 
von Südslawen bewohnten Gebiete und in weiterer Folge auf 
die Vernichtung der Monarchie als Großmacht aufgebaut ist 
und nur dieses eine Ziel kennt. 
Niemand, der auch nur acht Tage in dem hiesigen poli¬ 
tischen Milieu zu leben und zu wirken bemüßigt ist, wird 
sich dieser Wahrheit verschließen. 
Infolge der jüngsten Ereignisse, welche die hiesigen poli¬ 
tischen Stimmungen beeinflussen, und dazu rechne ich das 
Attentat in Sarajevo, den Tod Hartwigs und die Wahlkampagne, 
hat sich der Haß gegen die Monarchie noch vertieft. 
Das Attentat in Sarajevo hat den Serben den bevor¬ 
stehenden Zerfall der habsburgischen Staaten — auf welchen
	        
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