Volltext: Józef Piłsudski Militärische Vorlesungen (Band III / 1936)

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MILITÄRISCHE VORLESUNGEN 
Konzeptionen zur Ausführung; der Führer ist ihr Schöp¬ 
fer, er hat die Pflicht, gedanklich zu schaffen. 
Wenden wir uns jetzt der Planung des Feldzugs von 
Wilno zu; denn darin werden wir die Beispiele für das vor¬ 
her Gesagte finden. Als Wilno im Jahre 1918/19 in die 
Hände der Bolschewisten fiel, trennten mich 300 Kilometer 
und deutsche sowie bolschewistische Streitkräfte von dieser 
Stadt. Wilno ist die Stadt meiner Kindheit, ich liebe sie 
und habe mich lange Jahre hindurch nach ihr gesehnt. Das 
Schicksal der Stadt Wilno — das war mir seelisch ein 
Kernpunkt und eine Notwendigkeit, die mich unwidersteh¬ 
lich anzog. Im großen Bildfeld meiner Seele erschien Wilno 
als rosenroter Fleck im Norden des großen roten Flecks 
der ringenden Stadt Lemberg, wohin ich aus dem Zwang 
der Notwendigkeit Hilfstruppen entsenden mußte. Und 
meiner Seele war zumute wie jener Frau in Wyspianskis 
„Hochzeit66: „Not ruft stumm, rundherum, rundherum!66 
Das Muß der Jugendjahre, der Liebe und der Erinnerun¬ 
gen rief sie, und Wilno war für mich das Erbteil langer 
Jahre der Sehnsucht und treuer Anhänglichkeit. 
Feldherren haben für diese oder jene Konzeption eine 
Vorliebe, und das kann für sie zu einem gefährlichen Ge¬ 
dankenknoten werden. Bei Lemberg kündigte sich ein 
klarer, unzweideutiger Krieg an; bei Wilno dagegen war 
noch nichts Bestimmtes festzustellen. Die Notwendigkeit, 
nach Lemberg Hilfstruppen zu senden, war augenschein¬ 
lich, und das Schicksal Wilnos bildete im Kriegsplan eine 
Art von Hinterhalt. 
Ob ich falsch gehandelt habe, daß ich meine Eingebung, 
im Dezember 1918 Hilfstruppen nach Wilno zu senden, 
fallen ließ — darüber mag die Geschichte ihr Urteil fällen.
	        
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