Volltext: Sammlung von Nachweisen für die Verletzungen des Völkerrechtes durch die mit Österreich-Ungarn Krieg führenden Staaten [Hauptbd.] ; ([Hauptbd.] ; 1915)

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marschen; irgendeine Auskunft, oh und wann man selbst an die Reihe käme, wurde 
nicht erteilt. Der Gouverneur, der den Gefangenen durchaus nicht wohl wollte, ersann 
eine Reihe vexatorischer Verfügungen, von denen hier nur erwähnt seien: das 
Verbot, auf der Straße Deutsch zu sprechen, zu mehr als zu dreien zu gehen, die 
Gartenanlagen zu betreten, vor die Stadt zu gehen, sich dem Bahnhofe zu 
nähern u. a. m. Der Schergeneifer der niederen Polizeichargen half dem 
Gouverneur bei seinem Bemühen, recht viele Deportierte ins Gefängnis zu bringen. 
Auch ich hatte das Mißgeschick, als ich mit meinem Schwager spazieren ging, ein 
gefangen zu werden, weil wir angeblich Deutsch gesprochen hätten. Unsere Ver 
antwortung, es sei Englisch gewesen, wurde mit dem Bemerken abgelehnt, dies 
sei nicht zu unterscheiden und wer nicht Russisch sprechen wolle, solle 
„das Maul halten“. Wir wurden auf der Stelle im administrativen Wege zu 
sieben Tagen Gefängnis verurteilt; unserer Bitte, uns doch zu gestatten, uns mit 
einer Zahnbürste, Seife und einer Decke zu versehen, wurde abgelehnt und 
wir wurden mit etwa 50 im Laufe desselben Tages eingefangenen Leidens 
gefährten bei strömendem Regen ins Gefängnis abgeführt, wo wir gänzlich 
durchnäßt ankamen, uns nackt entkleiden mußten und nach erfolgter Leibes 
visitation mit unseren nassen Kleidern unter dem Arm nacheinander in eine 
große Zelle gesteckt wurden, wo 35 Mann auf Pritschen und 20 auf dem Fuß 
boden Platz fanden. Die Zelle wimmelte von Wanzen und anderem Ungeziefer. 
Auf die Details der im Gefängnis üblichen Ernährung und der hygienischen 
Einrichtungen einzugehen, muß aus Anstandsrücksichten vermieden werden. Die 
Behandlung war die gegenüber schweren Verbrechern übliche; wir wurden 
gedutzt, angebrüllt, mit Dunkelhaft bedroht usw. 
Kaum aus dem Gefängnis entlassen, wurde ich durch einen Anschlag bei 
der Polizeiverwaltung, daß sich alle verschickten Konsularfunktionäre dortselbst 
melden sollten, zum Polizeimeister gerufen. In der Meinung, es handle sich 
um den Austausch, gab ich auch meine Personalien zu Protokoll, um nach 
einigen Tagen durch die Nachricht überrascht zu werden, ich habe binnen 24 
Stunden nach dem Dörfchen Ustjwym, 800 Kilometer nordwestlich von Wo- 
logda, abzugehen, widrigenfalls ich per Schub hingebracht würde. Dieser an den 
Ausläufern des Ural gelegene Ort ist im Sommer durch siebentägige Fahrt auf 
kleinen Elußdampfern, im Winter überhaupt nicht oder nur durch mehrwöchige 
Schlittenreise zu erreichen, besitzt im Umkreise von Tagreisen weder Arzt, 
noch- Apotheke noch Kaufläden, kurz, es ist, nach der Aussage von Kennern 
dieses Landesteiles, ein von einer halbwilden, syrjänischen Bevölkerung bewohntes 
Barbarendorf. In der Erwägung, daß die, wie mir bekannt, im Gang befind 
lichen Austauschverhandlungen wohl kaum irgendeinen praktischen Wert für 
mich haben würden, wenn ich erst einmal, von jedem Verkehr mit der Außenwelt 
abgeschnitten, in Ustjwym eingeschneit wäre — und dies tritt dort bereits 
Anfang Oktober ein —, daß ferner die Chancen, einen Winter unter den dort
	        
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