Volltext: 1913 und das erste Halbjahr 1914 (Dritter Band / 1922)

Die Stimmung unter den Mannschaften ist heute natürlich vielfach 
schattiert. Einzelne Kommandanten besorgen bei längerem Aufschub der 
Abrüstung Desertionen und Selbstmordversuche, andere befürchten 
Vergehen gegen Zucht und Ordnung, wenn nicht grobe Ausschreitungen, 
endlich wieder andere — und diese sind leider in der Minderzahl — 
glauben sich für ihre Untergebenen in jeder Hinsicht verbürgen zu können. 
Immerhin — und dies muß ausgesprochen werden — habe ich den 
bestimmten Eindruck gewonnen, daß eine Verlängerung des gegenwärtigen 
Rüstungszustandes zu einem gefährlichen Experiment zu werden beginnt, 
welches nur durch die zwingendsten politischen Gründe zu recht- 
fertigen ist. 
Die Gefahr ist tatsächlich vorhanden, daß an irgend einem Orte 
Reservistenausschreitungen platzgreifen könnten, die kaum ohne Nach¬ 
ahmung bleiben würden. 
Die hieraus entstehende Schädigung unseres Ansehens im Auslande, 
speziell am Balkan, wäre außerordentlich beklagenswert. Aber auch in 
der Armee würde dies als schwere moralische Einbuße empfunden werden. 
Ein großer Teil unserer Armee hat durch vielmonatiges, entbehrungs¬ 
reiches und hartes Warten eine Kraftprobe geliefert, wie sie in der 
Geschichte nicht häufig vorkommt und unter unseren komplizierten und 
schwierigen innerpolitischen Verhältnissen als vorbildlich angesehen 
werden muß. Würde die Disziplin jetzt zu wanken beginnen, dann 
würde alles bisher Geleistete nutzlos werden. Die Riesenarbeit unserer 
wackeren Offiziere, die unter Überwindung zahlloser Reibungen in hohem 
Maße kriegsbrauchbare Truppen zu schaffen verstanden haben, wäre weg¬ 
getilgt, das Vertrauen auf den Ausgang aller künftig bevorstehenden 
Aktionen schwer erschüttert. 
Somit ergibt sich ausschließlich vom militärischen Standpunkt in 
Anbetracht der geschilderten Verfassung der Reservemannschaft die 
Forderung, entweder die in B. H. D. stehenden, nahezu kriegsstarken 
Streitkräfte zu kriegerischer Verwendung zu bringen oder mit der 
Abrüstung zu beginnen. _, . ., 
Steinitz, Oberst. 
Wien, am 11. Juni 1913.“ 
Ich säumte nicht, diesen die Verhältnisse in B. H. D. klar zeichnen¬ 
den Bericht dem Minister des Äußern zur Kenntnis zu bringen und erhielt 
ihn am 4. Juli zurück. 
Bei den ausgesprochen friedlichen Dispositionen unserer führenden 
Staatsmänner und ihrer Scheu vor jedem zeitgerechten kraftvollen 
Eingriff in die Ereignisse am Balkan erübrigte nichts, als den Gang der 
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