Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Türkei. Wenn es auch zunächst noch immer fraglich bleibt, ob 
der unter jungtürkischem Einfluß erfolgte reformatorische Aufschwung 
der Türkei von nachhaltiger Dauer sein oder aber wieder einer reaktio¬ 
nären Strömung zum Opfer fallen und hiedurch zu inneren Zerrüttungen 
führen wird, so ist doch die Machtentfaltung und das wachsende aktive 
Selbstgefühl der Türkei ebensowenig zu verkennen, wie die allmähliche 
Hinneigung der Türkei auf die Seite der Monarchie und Deutschlands. 
Letztere Richtung aufrecht zu erhalten und zu stärken, liegt daher im 
Interesse dieser beiden Staaten. Die Türkei wäre damit em äußerst wert¬ 
volles Gegengewicht bei jedem Konflikt der Monarchie mit Rußland, 
Serbien, Montenegro und Italien, wobei nicht zu übersehen kommt, daß 
Italien der Stärkung der Türkei, insbesondere der maritimen, nicht 
freundlich gegenübersteht und daß für Rußland der Türkei gegenüber 
sowohl in Europa als in Asien Konfliktsmomente bestehen, deren friedliche 
Austragung oder Beseitigung kaum denkbar erscheinen, während die Inter¬ 
essen der Monarchie dermalen nirgends mit jenen der Türkei kollidieren. 
Eine bedauerliche Erscheinung wäre es, wenn das Vorgehen der 
jungtürkischen Regierung gegen die Albanesen dazu führen würde, daß 
diese den Gegnern der Türkei in die Arme getrieben würden; der angeb¬ 
liche Übertritt katholischer Stämme nach Montenegro, die Beteilung der 
Albanesen mit Waffen seitens Rußlands sind in dieser Beziehung 
bemerkenswerte Symptome. Jeder Kraftzuwachs für Montenegro bezw. 
jede Zunahme der Feinde der Türkei fällt auch für die militärische Lage 
der Monarchie ungünstig ins Gewicht. 
Rumänien. Eingeengt zwischen Bulgarien und Rußland und in 
steter Sorge, durch den Zusammenschluß dieser beiden Staaten erdrückt 
zu werden, dabei besorgt um die Dobrudza und andererseits getragen 
von den Aspirationen auf Bessarabien, steht es im natürlichen Interessen¬ 
gegensatz zu Bulgarien und Rußland und tritt damit naturgemäß auf die 
Seite der Monarchie und Deutschlands. Rumänien im Bündnis mit diesen 
beiden Staaten zu erhalten, bleibt umsomehr eine wichtige Seite unserer 
Politik, als das Eingreifen der rumänischen Armee eine wesentliche Ent¬ 
lastung unserer gegen Rußland auftretenden Streitkräfte ergibt. Dieses 
Bündnis hat dermalen greifbare Formen angenommen in den Verein¬ 
barungen militärischer Natur, welche gleichfalls eine Voraussetzung bei 
den diesseitigen konkreten Kriegsvorbereitungsarbeiten bilden. 
Frankreich. Durch das Bündnis mit Rußland gezwungen und 
wohl auch noch von der ererbten Feindseligkeit gegen Deutschland 
erfüllt, wird Frankreich stets als Gegner Deutschlands und seiner Ver¬ 
bündeten in Betracht kommen. Nicht zu übersehen ist dabei allerdings, 
daß dieser finanziell allseits engagierte Staat kriegerischen Verwick¬ 
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