Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

bewohnten Osten, worauf auch die seitens Rußland von neuem mit 
großer Energie betriebene Agitation in Galizien hinweist. 
Endlich kommt als feindseliges Moment auch die gegen Deutschland 
gerichtete Entente Englands und Frankreichs mit Rußland in Betracht, 
welche Rußland auf die Seite der Gegnei Deutschlands und seiner Ver¬ 
bündeten drängt. Stellen diese Verhältnisse nun auch Interessengegensätze 
zwischen der Monarchie und Rußland dar, so erscheinen mir diese doch 
nicht so einschneidender und dringlicher Art, wie die Interessengegen¬ 
sätze zwischen der Monarchie und Italien, und es erscheint mir daher 
eher möglich, mit Rußland einen modus vivendi zu finden, welcher ein 
friedliches Verhalten dieser Macht sichert, insbesondere insolange die 
Retablierung der Armee nicht vollzogen, die finnländische Frage nicht 
gelöst, der stets drohenden Revolution im ganzen Reich der Boden nicht 
benommen ist und die Verhältnisse in Asien nicht völlig beruhigende 
geworden sind. 
In Anbetracht dieser Möglichkeit einerseits und der klarliegenden 
Feindschaft Italiens, welche sicher zum ^ Krieg drängen wird, anderer¬ 
seits, erachte ich es aus militärischen Gründen umsomehr geraten, dieses 
Verhältnis mit Rußland anzubahnen, als die Heeresentwicklung in Italien 
das Einsetzen aller unserer Kräfte gegen diesen Staat erfordern wird, 
wenn der Erfolg gesichert sein soll. Ist diese Entente mit Rußland aber 
gesichert, dann wäre dies sofort zum offenen Bruch mit Italien, somit 
zum Krieg auszunützen. 
Insolange aber für all dies keine Sicherheit 
besteht, muß Rußland als Gegner der Monarchie in 
Betracht gezogen und müssen die militärischen 
Vorbereitungen für einen Krieg gegen Rußland 
getroffen werden. Dabei bleibt aber stets vorausgesetzt, daß die 
Monarchie diesen Krieg nur im Verein mit Deutschland führt. 
Bulgarien mit seiner schon auch durch das Gehaben seines 
Herrschers cFaraklerisierten, unverläßlichen politischen Haltung könnte 
unter Umständen ebenso als Verbündeter, wie als Gegner der Monarchie 
in Betracht kommen; es findet jedoch stets sein Gegengewicht in Rumä¬ 
nien, und da an einen Balkanbund mit Einschluß der Türkei wohl nie 
zu glauben ist, vornehmlich auch in dieser; zudem ist es geographisch 
von der Monarchie getrennt; spezielle Vorbereitungen für einen kriege¬ 
rischen Konflikt mit Bulgarien erscheinen daher nicht erforderlich. 
Griechenland fällt, ehe es nicht seine arg zerrüttete Wehr¬ 
macht wesentlich entwickelt hat, kaum sehr ins Gewicht — in allen 
Fällen aber voraussichtlich als Gegner der Türkei — der gegenüber es 
zu Lande und zu See inferior ist. 
6, Conrad II 
81
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.