Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

In allen diesen, durch die vorjährige Korrespondenz klargelegien 
Fällen war auf die Allianz Rumäniens und die Neutralität Italiens, sowie 
darauf gerechnet, daß Bulgarien und die Türkei sich gegenseitig binden 
würden. 
Die seitherige Entwicklung der Politik läßt annehmen, daß Serbien 
und Montenegro in ihrer feindseligen Haltung gegen die Monarchie 
verharren — zweifellos betreiben sie ihre militärischen Rüstungen in diesem 
Sinne; dagegen dürfte sich die Türkei der Entente mit Deutschland und 
Österreich-Ungarn immer mehr zuwenden und dadurch ein wertvolles 
Gegengewicht nicht nur gegen die genannten Balkanstaaten Serbien und 
Montenegro, sondern auch gegen Bulgarien bilden, falls dieses mit beiden 
letzteren gemeinsame Sache machen sollte. 
Gegen 13 y2bulgarische, 12 serbische und 4 montenegrinische, also 
in Summe rund 30 Divisionen würden die 28 türkischen Divisionen (I. und 
II. Linie) in Europa erheblich ins Gewicht fallen, einen Ausgleich zwischen 
Türkei und Griechenland vorausgesetzt. Es hätten also die gegen Serbien 
und Montenegro zu engagierenden ö.-u. Kräfte eine wesentliche Entlastung; 
doch sind die obangedeuteten Verhältnisse noch so wenig geklärt, daß 
es nicht angängig erscheint, dermalen schon von dem militärischen Kalkül 
des Vorjahres abzugehen. 
Der Bündnistreue Rumäniens vermag man versichert zu sein, auch 
sind die militärischen Vereinbarungen mit der Heeresleitung dieses Staates 
erst in jüngster Zeit in konzilianter Weise gepflogen worden. 
Bleibt noch Italien. 
Wenngleich die dermalige offizielle politische Richtung dieses Staates 
annehmen lassen sollte, daß Italien am Dreibund unter allen Umständen 
festhalten würde, so kann ich doch in Anbetracht der zielbewußt und 
augenfällig gegen die Monarchie gerichteten militärischen Maßnahmen 
Italiens, dann der im italienischen Volk zweifellos vorhandenen der 
Monarchie feindseligen Stimmung, der ausgesprochenen Aspirationen auf 
Ländergebiete Österreich-Ungarns, ferner jener auf die Vorherrschaft in 
der Adria und in Verbindung damit einer die Interessen der Monarchie 
tangierenden Balkanpolitik mich des Eindruckes nicht erwehren, daß die 
Monarchie unbedingt bereit sein müsse, Italien plötzlich als Gegner gegen 
sich zu haben. 
Aber auch bei allem Vertrauen in die jetzigen politischen Führer 
muß doch auch immer mit einem plötzlichen Wechsel der Persönlichkeiten 
und damit einem Wechsel des Systems gerechnet werden. 
Aus diesem Grunde habe ich es als Pflicht betrachtet, bei den Kriegs¬ 
vorbereitungsarbeiten auch den Kriegsfall gegen Italien in Betracht zu 
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