Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Mit ganz besonderer Besorgnis sah der Thronfolger Erzherzog 
Franz Ferdinand die innere Lage an. Er gab dem in einer Besprechung 
Ausdruck, die ich im Belvedere am 23. November 1910 mit ihm hatte. 
Er verlangte mit Bezug auf innere Konflikte eine völlig exterritoriale 
Dislozierung der Truppen. 
Seine kaiserliche Hoheit sagte: „Schauen Sie nach Portugal!*) Die 
Armee ist die Stütze des Thrones, man muß die Regimenter durchein¬ 
ander mengen, Böhmen nach Ungarn, Ungarn in deutsche Garnisonen 
und so weiter.“ 
Ich bemerkte, daß dies nur im begrenzten Maße möglich sei, weil 
ansonst Mobilisierung und Aufmarsch im Kriegsfälle ganz bedeutend 
geschädigt werden würden. Ich müsse mich gegen eine weitgehende Ver¬ 
mengung aussprechen. Man könne übrigens im Hinblick auf inner¬ 
politische nationale oder soziale Konflikte wenigstens bisher der Truppe 
sicher sein. 
Auf die Erwiderung des Erzherzogs: „Äußere Kriege werden wir 
nicht mehr haben“, gab ich meiner gegenteiligen Ansicht Ausdruck und 
wies auf die der Monarchie von allen Seiten drohenden Gefahren und auf 
die Notwendigkeit hin, sich vor allem gegen diese vorzusehen. 
Bosnien-Herzegowina. Da ich nach dem Verlauf der 
Annexionskrise gewärtig war, daß die nächsten äußeren Verwicklungen 
der Monarchie auf dem Balkan eintreten und von Serbien herrühren 
würden, mit dem keine klare Lage geschaffen war, wandte ich den Vor¬ 
gängen in B. H. meine besondere Aufmerksamkeit zu. 
Der momentane diplomatische Erfolg gegenüber Serbien, das sich 
äußerlich als nachgiebig hinzustellen verstand, blieb nicht ohne Rück¬ 
wirkung auf die Serben Bosniens und der Herzegowina. Er löste bei 
diesen eine analoge Haltung aus. Sie hatten sich auf den opportunisti¬ 
schen Standpunkt gestellt, mit der Regierung auskommen zu wollen und 
in dem gewährten Landtag als stärkste Partei ihre Interessen zu vertreten. 
Dieser scheinbare Umschwung, der ja bei einem Teil der serbischen 
Bevölkerung auch aufrichtig gewesen sein mochte, den Tendenzen der 
Mehrzahl und deren Führer aber nicht entsprach, ließ mancherseits die 
*) ln Lissabon waren am 1. Feber 1908 der König und der Kron¬ 
prinz bei einer Wagenfahrt von republikanischen Verschwörern 
erschossen, der dem König in der Regierung folgende zweite Sohn Manuel 
durch eine Militärempörung am 4. Oktober 1910 vertrieben und die 
Republik ausgerufen worden. 
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