Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Am gleichen Tage (25. Dezember) richtete ich ein Schreiben an 
Oberst Dr. von Bardolff, den Vorstand der Militärkanzlei des Thron¬ 
folgers, in dem ich auf die Gefahren der tschechischen Agitation in 
Böhmen und deren Ausbreitung in anderen slawischen Gebieten, sowie 
auf die bedauerliche Erscheinung hinwies, daß sich ein Teil des Klerus, 
und zwar auch des katholischen, in den Dienst nationaler Verhetzung 
stelle. Bei dem regen Verkehr des Obersten von Bardolff mit dem 
Thronfolger, der ihm großes Vertrauen schenkte, wußte ich mich 
hinsichtlich des Bemühens, diese Gefahr einzudämmen, an der richtigen 
Adresse. Auch ich hatte ja schon öfter Gelegenheit gefunden, mit Seiner 
Kaiserlichen Hoheit dieses Thema zu besprechen und ihm meine Ansichten 
hierüber darzulegen. Ich betonte dabei, daß es keinen Staat im Staate 
geben dürfe, daß in diesem nur eine, in der Person des Monarchen 
zusammengefaßte Staatsgewalt zu herrschen, jede internationale Macht 
aber ausgeschlossen zu sein habe, daher auch jede, die ihr Zentrum 
außerhalb des Reiches hat. 
Den Klerus anlangend, sei der Priester ausschließlich der Seelenhirt, 
der Vermittler zwischen der unerforschbaren Allmacht und dem Einzelnen, 
sofeme dieser einer Vermittlung bedürfe. Er sei dem Einzelnen der mit¬ 
fühlende Freund bei schweren Schicksalsschlägen, der Tröster im Leid, 
er wecke und pflege die Empfindungen für Moral und Anstand, für 
geistige und seelische Güter im Gegensatz zu Roheit und materieller 
Gewinnsucht, er sei der Förderer und Hüter der edleren Empfindungen 
dös Menschen; er suche darin die Erhabenheit seines Berufes, bleibe aber 
dem politischen Parteiengetriebe fern. 
Auch das Treiben der internationalen Sozialdemokratie und die 
damit verbundenen Gefahren für den Staatsbestand hatte ich mit dem 
Thronfolger wiederholt besprochen. Er sah diesem Treiben, sowie jenem 
des Freimaurertums mit großen. Besorgnissen entgegen. 
Wenngleich diese Gefahr in Österreich-Ungarn damals noch lange 
nicht jene Ausdehnung gewonnen hatte, wie in anderen Staaten, so 
vornehmlich in Deutschland und in Rußland, hatten sich doch auch schon 
in den Neunziger Jahren Maßnahmen als notwendig erwiesen, die dem 
Eindringen zersetzender Tendenzen in die Wehrmacht Schranken ziehen 
sollten. Bei der kurzen Dienstzeit vermochten solche Maßnahmen aber 
doch nur wirksam zu bleiben, wenn eine voraussichtige innere Politik 
ebensosehr auf das unerbittliche Unterdrücken staatsgefährlicher Bestrebun¬ 
gen, wie auf billige Rücksichtnahme für das Wohl aller Bevölkerungs¬ 
klassen gerichtet war und die Keime für richtige Auffassung der Bürger¬ 
pflichten, für Recht und Ordnung schon in die Erziehung der Jugend 
zu legen verstand. 
405
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.