Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

mußte ich doch als Hindernis für obigen Vorschlag die Unmöglich- 
keit erkennen, Skutari, die größte und wichtigste Stadt Albaniens, und 
als Bischofssitz Zentrum der katholischen Gebiete dieses Landes, von 
letzterem abzutrennen. Nichtsdestoweniger legte ich die Idee einer fried¬ 
lichen Gewinnung Montenegros dem Minister des Äußern in folgendem 
Schreiben nahe: 
„Wien, am 24. Dezember 1912. 
Euer Exzellenz! 
Ich wollte die gestrige, ohnehin fast zweistündige Konferenz nicht 
noch verlängern, habe daher darauf verzichtet, die nachfolgend charak¬ 
terisierte Idee zur Sprache zu bringen; bitte jedoch, dies jetzt schriftlich 
tun zu können. 
Ich habe heuer im September im Verkehr mit Prinz Mirko Gelegen¬ 
heit gehabt, die bis zum Haß gesteigerte Aversion des montenegrinischen 
Königshauses gegen das serbische kennen zu lernen, sowie die Rivalität, 
die zwischen beiden besteht. Es scheint nun, daß durch die kriegerischen 
Mißerfolge das montenegrinische Königshaus in Montenegro an 
Sympathie verloren hat, und daß dies vom serbischen ausgenützt und 
gefördert wird, vielleicht in der Absicht, auch Montenegro unter das 
serbische Haus zu bringen. Dieser Zusammenschluß wäre für die 
Monarchie höchst bedenklich und müßte unbedingt verhindert werden. 
Ich glaube, daß trotz allem das Haus Petrovic Njegus, insbesondere 
König Nikita, noch genügend Anhang im Lande hat, um es mit der 
Gegenpartei aufnehmen zu können, wenn es von außen gestützt wird. 
Vielleicht ist also der Moment gekommen, um Nikita diese Stütze 
anzubieten gegen einen engen Bundesanschluß an die Monarchie. Gelänge 
es, einen offenen Bruch zwischen Serbien und Montenegro herbeizuführen, 
so erschiene mir dies sehr vorteilhaft, weil dann auch eine Spaltung in 
die slawische Welt käme und Rußland seine Rolle als großslawische 
Schutzmacht verlieren würde. 
Ich betrachte dies auch vom militärischen Standpunkte, der immer 
darauf ausgeht, einen Krieg mit mehreren Fronten zu vermeiden, um mit 
möglichst konzentrierten Kräften einem Gegner nach dem andern 
begegnen zu können — also seine Gegner möglichst zu isolieren. 
Ich vermag natürlich von hier aus nicht zu beurteilen, inwieweit 
meine Anschauung der Dinge in Montenegro mit den tatsächlichen über¬ 
einstimmt — aber Exzellenz Giesl müßte wohl in der Lage sein, hierin 
zu entscheiden. 
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