Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

dieses störende Moment aus der türkischen Politik uns gegenüber nun¬ 
mehr gänzlich ausgeschaltet ist. Unter den militärisch maßgebenden 
Persönlichkeiten halte ich zwar den Chef des Generalstabes Izzet Pascha 
für verläßlich dreibundfreundlich und auch uns gegenüber so ziemlich 
frei von Mißtrauen und Annexionsranküne. Bei Gelegenheit meiner 
Abschiedsbesuche vor Antritt meines Urlaubes (Ende Juli) wurde ich 
im Generalstabe nicht allein mit gewohnter Höflichkeit, sondern das 
erste Mal in sichtlich herzlicher, auszeichnender Weise empfangen. Izzet 
Pascha dankte für die große Unterstützung, welche Oberstleutnant Ismail 
Hakki Bey in Wien findet und ließ sich in ein politisches Gespräch ein, in 
welchem er allerdings außer Betonung der Gemeinsamkeit der Interessen 
zwischen unseren beiden Staaten wenig Bemerkenswertes produzierte. 
Es ist auch ganz zweifellos, daß der Kriegsminister General Mahmud 
Schefket über die politische Bedeutung und Stellung Deutschlands und 
Österreich-Ungarns zum Ottomanischen Reiche sich vollkommen klar ist. 
Er würdigt auch rückhaltlos den Wert der deutschen Reformtätigkeit in 
der türkischen Armee und ist ein aufrichtiger Bewunderer der deutschen 
Heereseinrichtungen. Trotzdem muß es sehr befremden, daß er es über 
sich brachte, im vergangenen Winter Komparativversuche mit Gebirgs- 
geschützen vorzunehmen, bei welchen Krupp gegen Creuzot unterlag 
und daß demnächst wieder analoge Proben mit Feldgeschützen stattfinden 
sollen. Es ist allerdings bekannt, daß Frankreich speziell auf die Lieferung 
von Kriegsmaterial an die Türkei größten Wert legt und die jung¬ 
türkischen Machthaber in dieser Beziehung einen starken Druck auf das 
Kriegsministerium ausübten. Doch kann auch nicht vergessen werden, 
daß der despotisch veranlagte Mahmud Schefket Pascha in weit weniger 
wichtigen Fällen den Forderungen des Komitees ein absolutes Noli me 
tangere entgegenzusetzen gewußt, in der Deutschland so nahegehenden 
Geschützfrage aber ohne Kampf nachgegeben hat. Daß unsere Industrie¬ 
erzeugnisse, selbst wenn sie sich bei Komparativversuchen als die besten 
erwiesen haben, im Kriegsministerium nicht durchdringen und daß sich 
speziell Mahmud Schefket Pascha durch recht oberflächliche Argumente 
von der Überlegenheit englischer, französischer und deutscher Artikel 
überzeugen läßt, habe ich bei der letzten Lastautomobilkonkurrenz 
erneuert Gelegenheit gehabt zu konstatieren. Charakteristisch ist auch, 
daß der Kriegsminister bei meinem Besuche nach meiner Rückkehr vom 
Urlaube über den Kurs für türkische Offiziere an unserer Armeeschie߬ 
schule kein Wort erwähnte, geschweige denn einen Dank aussprach. 
Vielleicht hat er daran vergessen, aber auch dies ist nicht ohne Bedeutung. 
Resümiert man alles, was bei Beurteilung der gegenwärtigen poli¬ 
tischen Situation der Türkei in Betracht kommt, so kann man sagen, daß
	        
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