Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

„Der osteuropäische Januskopf. 
München, 25. November. 
Auf dem Forum in Rom stand ein Tempel, der wie kein Heiligtum 
das Symbol der weltherrschenden Tiberstadt war. Herrschte der Friede, 
dann waren die Tempelpforten geschlossen, im Krieg standen sie weit 
offen. Und dann sah man Janus den Gott, den Gott mit den zwei 
Gesichtern, von denen das eine vorwärts, das andere rückwärts schaute. 
So ward Janus, der älteste der Götter, auf den alle Kultur zurück¬ 
geführt wurde, der bei allen Opfern zuerst angerufen wurde, das 
geheimnisvolle, schreckliche Symbol des Krieges zugleich und des innem 
Widerspruchs des Krieges als Mittel politischer Machtbildung und 
kultureller Neuschöpfung und kulturwidriger Vernichtung und grausamer 
Zerstörung. 
So ist Janus das Symbol des großen historischen Gegensatzes der 
Anschauungen, der seit der Menschheit Beginn in den Zeiten, die die 
Völker zu blutiger Auseinandersetzung zu treiben drohen, dem Kriegs¬ 
mann und dem Staatsmann Denken und Handeln bestimmt. 
* 
Läßt man den Soldaten die Situation beurteilen, dann wird er, wenn 
man die letzten österreichischen Stimmen heranzieht, etwa sagen: 
... Wenige Wochen nach Beginn des Balkankrieges ist die militärische 
Lage Europas im Begriff, sich erheblich zu verschieben. Der für West¬ 
europa unerwartete Ausgang des Balkankrieges ergibt als Tatsache: 
Niederwerfung der Türkei, bedeutende Kraftleistung des Balkanbundes, 
das heißt mit anderen Worten: Fast gänzliche Ausschaltung der türkischen 
Armee aus den militärischen Berechnungen des Dreibundes, dafür 
Buchung der eben bewährten militärischen Streitkräfte des Balkanbundes 
auf der Saldoseite der Tripleentente. 
Die wichtigsten Armeen dieses Balkanbundes, die bulgarische und 
serbische, haben allerdings so außerordentlich schwer gelitten (Verluste 
bis zu 40 Prozent des Bestandes), daß sie augenblicklich sowie in der 
allernächsten Zeit keine besondere Beachtung beanspruchen können, zu 
einem Kriege gegen Österreich-Ungarn und Rumänien sind sie zur Zeit 
völlig außerstande. Bei der beiden Nationen innewohnenden, eben 
bewiesenen Tatkraft muß aber damit gerechnet werden, daß sie verhältnis¬ 
mäßig schnell (sicherlich in kaum zehn Jahren) wieder eine respektable 
Kraft erreicht haben werden. Dieser Kräfteersatz wird sich um so 
schneller vollziehen, als Bulgarien und Serbien neue Ländergebiete 
zufallen, deren Männer künftig unter ihren Fahnen, anstatt unter dem 
Halbmond zu dienen haben werden. Die Verluste, die mit Geld wett¬ 
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