Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

dürfte Rußland noch immer nicht von allen Mängeln des russisch¬ 
japanischen Krieges geheilt sein und auch von Frankreich zurückgehalten 
werden, für welches im Falle eines Krieges große Werte auf dem Spiele 
stehen. 
Italiens Landheer leidet noch an den Folgen des Krieges in Tripolis; 
Italien ist durch letzteren auch finanziell stark hergenommen. 
Frankreich hat große Sorgen um seine bedeutenden finanziellen 
Engagements, und die Balkanstaaten sind durch den jetzigen Krieg nicht 
unbedeutend erschöpft, vielleicht zeigen sich auch Keime der Zwietracht. 
Eine Frage, welche jedoch noch wesentlich in Betracht kommt, ist 
die Wahl des Zeitpunktes für einen eventuellen Krieg. 
Die Balkanstaaten haben in sehr geschickter Weise ihre Operationen 
derart begonnen, daß die Entscheidung knapp vor den Winter fällt, wohl 
wissend, daß ihnen während des letzteren kaum jemand in den Arm 
fallen wird. 
Tatsächlich ist ein Winterfeldzug ein für die modernen europäischen 
Armeen sehr hartes Beginnen, umsomehr, wenn, wie bei uns, die Aus¬ 
rüstung für einen solchen eine sehr mangelhafte ist. 
Müßte nun, wenn es das Staatsinteresse unabwendbar erheischt, auch 
all dies in den Kauf genommen, somit auch ein Krieg im Winter geführt 
werden, so erscheint es doch weit vorteilhafter, durch diplomatisches Um¬ 
ziehen den Kriegsbeginn auf die bessere Jahreszeit zu verschieben; zudem 
käme die dadurch gewonnene Zeit den so notwendigen speziellen Vor¬ 
bereitungen sehr zustatten. 
Auf Albanien zurückkommend, habe ich in meinem ersten Essay 
die übrigens allgemein klarliegenden Gründe für die dort bestehenden 
Interessen der Monarchie angeführt und dabei auch hervorgehoben, daß 
eine Zerstückelung Albaniens und eine serbische Festsetzung an der 
Adria nie zuzugeben wären. 
Ein Kompromiß könnte .vielleicht dadurch zustande kommen, daß 
die Monarchie an Serbien den Raumbesitz bei Salonik zugesteht, mit 
Sonderrechten für die Monarchie hinsichtlich dieses Hafens und der zu 
demselben führenden Bahn, umgekehrt aber den Serben in analoger 
Weise die Benützung eines norddalmatinischen Hafens mit der dahin 
führenden Bahn gewährt. Die beiderseitige Garantie läge in der vollen 
Reziprozität. 
Was die Sonderrechte der Monarchie hinsichtlich Albaniens, speziell 
den Hafen von Valona anlangt, so wäre für den Fall, als es zum Krieg 
zwischen Dreibund und Tripleentente käme, Italien durch die Zusicherung 
von Tunis für den Fall einer glücklichen Kriegsentscheidung zu 
entschädigen. 
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