Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Aber vor allem war es das rücksichtslose, zielbewußte Vorgehen der 
Balkanstaaten, das deren Erfolge schuf. 
Am 23. und 24. Oktober siegten die Bulgaren bei Kirk-Kilisse, an 
denselben Tagen die Serben bei Kumanovo, nachdem sie am 22. Pristina, 
am 23. Novipazar genommen hatten. Die Griechen nahmen am 19. Okto¬ 
ber Elassona, am 22. Serandoporos, am 27. Oktober Selfidze, von wo 
die Türken nach Salonik wichen. 
Es war unverkennbar, daß eine gänzliche Umwälzung am Balkan 
im Werden stand, daß Österreich-Ungarns Interessen schwer, ja vital 
betroffen wurden und daß der Moment verlangte, einen großen Ent¬ 
schluß zu fassen, umsomehr, als sich anläßlich der albanesischen Frage 
auch Italiens Gegnerschaft enthüllte. 
Mit Serbien oder gegen Serbien stand die Frage! 
Entweder war die Konsequenz aus der Feindschaft Serbiens zu 
ziehen, oder in letzter Stunde der Anschluß an den Balkanbund zu 
suchen, die Führung am Balkan zu übernehmen. Mochte die Erreichung 
dieses Anschlusses auch kaum erreichbar erscheinen, eines Versuches war 
sie wert. Schlug er fehl, dann blieb die Möglichkeit des anderen Weges 
noch immer offen. Schließlich waren die Balkanstaaten ihres Enderfolges 
doch noch nicht sicher und mußten mit dem Eingreifen Österreich- 
Ungarns, Rumäniens, selbst auch Italiens gegen sie rechnen. Für Serbien 
konnte hierin die Veranlassung liegen, sich endlich doch noch einer 
Politik des Zusammenschlusses mit Österreich-Ungarn zuzuwenden. 
Für alle Fälle aber war zur Zeit des kriegerischen Engagements der 
Balkanstaaten gegen die Türkei die Bahn frei, um mit Italien abzurechnen. 
Nur zuzusehen und nichts zu tun war das Gefährlichste. 
Dieser Gedanke und die große Sorge um die Zukunft Österreich- 
Ungarns, die ich schwer bedroht sah, beschäftigten mich unablässig. 
In dem Bemühen, mir in dem Wirrsal der Möglichkeiten über eine 
bestimmte Richtlinie für das eigene Handeln klar zu werden und angeregt 
durch die schon im Früheren erwähnte, rein private Konversation mit 
Graf Berchtold gelegentlich des Diners bei Baron Chlumecky, schrieb ich 
für mich einen Essay über die momentane Lage nieder, den ich nach¬ 
stehend folgen lasse: 
„Über die momentane Lage der Monarchie und deren 
nächste politische Richtung. 
Wien, am 28. Oktober 1912. 
Der Krieg der Balkanstaaten gegen die Türkei ist allerdings noch 
nicht beendet, das Dazwischentreten anderer Staaten immerhin noch 
möglich und damit ein Umschwung oder eine Eindämmung des jetzigen 
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