Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Die Großmächte sahen all dem zu! 
England und Frankreich verfolgten wohl, nicht ohne Mißtrauen, 
Italiens anwachsende Macht im Mittelmeer, schonten jedoch den künftigen 
Bundesgenossen für höhere Ziele. Rußland hoffte jetzt die Meerengen¬ 
frage zu seinen Gunsten zu lösen. Deutschland war auf Seite Italiens, 
an dessen Bundestreue es noch immer glaubte. Österreich-Ungarn aber 
war in demselben Wahn befangen und raffte sich nicht zur Tat auf, 
obwohl auch die immer mehr hervortretende albanesische Frage 
deutlich Italiens Gegnerschaft erkennen ließ. 
Klar war Italiens Ziel: die Adria allein zu beherrschen, Valona 
als Kriegshafen zu gewinnen, eine Ausdehnung Österreich-Ungarns, 
selbst auch nur dessen Einflusses an der Ostküste der Adria zu 
verwehren, sich selbst aber in Albanien festzusetzen. 
Albanien aber kam für Österreich-Ungarn nicht nur wegen der 
angeführten Aspirationen Italiens, sondern auch deshalb in Betracht, 
weil man seiner als Verbündeten gegen Serbien und Montenegro bedurfte. 
Österreich-Ungarn mußte verhindern, daß diese beiden Staaten sich 
zusammenschließen und sich des albanesischen Territoriums bemächtigen. 
So waren also Österreich-Ungarns Interessen doppelt bedroht, 
einerseits durch Italien, anderseits durch Serbien und Monte¬ 
negro. Die Interessen Österreich-Ungams lagen in der Notwendigkeit 
maritimer Freiheit in der Adria und in Rücksichten für den Fall eines 
Konfliktes mit Serbien und Montenegro. 
Ein an mich gerichtetes, offenbar die Anschauungen des Thronfolgers 
vertretendes Schreiben seines Flügeladjutanten und Chefs seiner Militär¬ 
kanzlei Oberst Dr. von Bardolff vom 4. Oktober 1912 betonte die Not¬ 
wendigkeit der Wahrung unserer Interessen in Albanien. Sie traten ganz 
besonders hervor, als ein neues Ereignis den Tripoliskrieg in zweite 
Linie rückte. 
Der Ausbruch des Balkankrieges. 
Angeregt durch das Beispiel Italiens, das plötzlich über die wehrlose 
Türkei hergefallen war, ohne dabei auch nur im geringsten von den 
anderen Mächten gehindert worden zu sein, hatten sich Serbien, wo an 
Stelle des plötzlich verstorbenen Milovanovic der tatkräftige P a s i c ans 
Ruder gekommen war, dann Montenegro, Bulgarien und Griechenland 
geeinigt, das gleiche zu tun. Zur Überraschung der meisten Großmächte 
eröffneten sie den gemeinsamen Krieg gegen die Pforte. 
Keine der Großmächte ging daran, ihnen hiebei in den Arm zu fallen. 
Unentschlossen standen die einen, im stillen Einverständnis ihren Vorteil 
abwartend, die anderen dem Ereignis gegenüber. Abermals nirgends 
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