Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

der Erwartung hin, daß wir uns auf dieser Grundlage in einer gegebenen 
Situation wiederfinden würden. 
Die Verdächtigungen gegen unsere Politik, von denen der General 
gesprochen habe, würden, so wie in Konstantinopel, auch in Sofia von 
unseren Gegnern als perfide Waffe gegen uns benützt. Es würde weder 
unseren wohlverstandenen politischen, noch unseren ökonomischen Inter¬ 
essen entsprechen, in Mazedonien oder Albanien auf Ländererwerb aus¬ 
zugehen, und Euer Hochwohlgeboren seien in der Lage, positiv zu 
wissen, daß dies unseren Absichten durchaus fern liege. Solenne 
Erklärungen in dieser Beziehung seien, wie ja bekannt, bereits wiederholt 
erfolgt; zu einer neuen formellen Enunziation hege keinerlei Anlaß vor. 
Sie würde auch unsere Gegner keineswegs davon abhalten, ihre Ver¬ 
dächtigungen zu erneuern. Jedermann aber, der unsere Politik mit Ver¬ 
ständnis und ohne Voreingenommenheit verfolge, müsse in unseren Hand¬ 
lungen die Bestätigung unserer Worte finden.“ 
Die auf Mazedonien und Albanien hinweisende Stelle trug den 
Aspirationen Rechnung, die Bulgarien bezüglich dieser Gebiete hegte. 
Daß es bei dem dort lodernden Aufstand seine Hände im Spiel hatte, war 
eine bekannte Sache. In der Audienz am 11. Mai 1910 sprach ich mit 
Seiner Majestät hierüber und erwähnte, daß der Besuch, den der König 
von Bulgarien, begleitet vom Kriegsminister und dem Minister des 
Innern, dem Kloster Rilo*) abstattete, vermutlich die Fühlungnahme mit 
den mazedonischen Führern — anläßlich des albanischen Aufstandes — 
zum Zwecke hatte. 
Türkei. Am 24. April 1910 hatte Mahmud Schefket Pascha den 
am 13. April in Konstantinopel ausgebrochenen, gegen das jungtürkische 
Regime gerichteten Soldatenaufstand niedergeworfen. Am 24. April wurde 
Sultan Abdul Hamid des Thrones verlustig erklärt und durch seinen den 
Jungtürken ergebenen Bruder Abdul Reschad — als Sultan Mohammed V. 
— ersetzt, Schefket Pascha zum Kriegsminister ernannt. Energisch ging 
das neue Regime (unter Beiziehung des deutschen Generals von der 
Goltz) auch an die Reorganisation der Wehrmacht. Im September 1910 
wurden die bisherigen sieben Orders**) in vierzehn modern organisierte 
Korps umgewandelt und durch den Ankauf der deutschen Linienschiffe 
„Weißenburg“ und „Friedrich Wilhelm“ die Flotte vermehrt. 
Nach Abwehr der französischen Versuche, die türkische Finanz¬ 
verwaltung unter Frankreichs Aufsicht zu bringen, durch den türkischen 
*) 65 Kilometer südlich Sofia, nahe der türkischen Grenze. 
**) Militärbezirke, welche verschieden starke Korps aufstellten. 
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