Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

dem Entwicklungsdrang dieser Gegner heraus auf die Zerstückelung der 
Monarchie gerichtet waren. Der reale Boden aber kennzeichnete sich 
dadurch, daß Serbien unverblümt und skrupellos das großserbische Reich 
und hiezu die Gewinnung der südslawischen Provinzen der Monarchie 
erstrebte, daß die Aspirationen Italiens auf die sogenannten „irredenten“ 
Gebiete Tirols und des Küstenterritoriums, sowie auf die Alleinherrschaft 
in der Adria offenkundig lagen, daß Rußland Serbiens Pläne mit allen 
Mitteln unterstützte, nebenher die Einverleibung Galiziens, hauptsächlich 
aber die Zertrümmerung Österreich-Ungarns im Auge hatte, um sich den 
Weg nach dem Balkan frei zu machen, daß es auf diesem Wege ein 
Haupthindernis auch in Deutschland sah, dessen Emporblühen auf 
politischem, wirtschaftlichem und maritimem Gebiet auch England im 
Keime zu ersticken trachtete, Frankreich aber im Heranwachsen Deutsch¬ 
lands eine nur mit Waffengewalt zu beseitigende Gefahr und in der 
Wiedergewinnung Elaß-Lothringens ein unverrückbares, nationales Ziel 
erblickte, 
daß aber — und darin lag der reale Kern der Lage — diese 
Feinde in der Zeit bis 1912 noch nicht insgesamt auf jener Höhe militä¬ 
rischer Bereitschaft standen, um mit Aussicht auf sicheren Erfolg den 
längst geplanten gemeinsamen Kampf herbeizuführen, Deutschland und 
Österreich-Ungarn also die letzte Gelegenheit hatten, mit diesen Gegnern 
nacheinander oder doch noch zu einem Zeitpunkte abzurechnen, in 
welchem deren Kriegsbereitschaft noch nicht voll gereift erschien. 
Konnte jemand diese Lage nicht erkennen? Oder konnte jemand 
wirklich glauben, daß alle diese Gegner pour les beaux yeux de 
rAutriche-Hongrie von diesen ihren positiven Zielen abstehen 
würden? 
Klar lag es, daß Österreich-Ungarn unerbittlich gezwungen sein 
würde, seinen Existenzkampf mit den Waffen auszutragen; darauf 
war daher jedwede Vorbereitung, darauf die reale Politik der 
Monarchie zu gründen, nicht aber auf vage, einschläfernde Utopien und 
problematische Traktate. 
In der Wahl, all dem gegenüber schweigend abseits zu bleiben, oder 
meinen Besorgnissen Ausdruck zu geben, wählte ich stets das letztere. Die 
Folgen der Vertretung dieses Standpunktes richteten sich nun gegen mich. 
Am 27. September 1911 hatte Exzellenz Baron Bolfras telephonisch 
bei mir angefragt, ob er mich treffen könne. Ich bat ihn selbstverständlich, 
sich nicht zu bemühen und teilte ihm mit, daß ich sofort zu ihm in die 
Militärkanzlei kommen werde. 
Dort angelangt, bot mir Exzellenz Bolfras Platz an und sagte, 
er müsse mich vor allem fragen, ob ich volles Vertrauen zu ihm habe, 
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