Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Zunächst möchte ich, ohne mich selbstverständlich mit einem Manne 
vom der Kompetenz des Chefs unseres Generalstabes in militärpolitische 
Kontroversen einlassen zu wollen, lediglich als eine auch dem Laien 
naheliegende Erwägung, Zweifel darüber äußern, ob man von irgend 
einer Armee oder Marine, also auch der italienischen, überhaupt ernst¬ 
haft und sachlich sagen könne, dieselbe werde in diesem oder jenem 
Jahre ihre Schlagfertigkeit erreichen. Meine eigene Anwesenheit bei zirka 
25 Delegationen und somit ebensovielen Debatten über unsere KriegSr 
und Marinebudgets sowie meine Erfahrungen über die Entwicklung der 
militärischen Streitkräfte anderer Staaten lassen mich diese Frage eher 
verneinen. 
Eine Armee und eine Marine scheint mir heute weniger als je ein 
Instrument zu sein, welches man wie ein Schrapnell auf einen bestimmten 
Zeitpunkt tempieren kann. 
Armee und Marine sind vielmehr, wie alle anderen Institutionen — 
und bei der rapiden Vervollkommnung der Kriegsmittel noch mehr als 
diese — ein lebendiger, in einer steten Entwicklung und in einer rastlosen 
Konkurrenz mit den anderen Staaten begriffener Körper. 
Armee- und Flottenprogramme sind daher in meinen Augen nichts 
anderes als finanzpolitische und parlamentarische Behelfe, dazu bestimmt, 
gewisse Zuwendungen für eine gewisse Zeit zu erhalten. Aber die Aus¬ 
führung keines dieser Programme kann wirklich die Schlagfertigkeit oder 
einen bestimmten Grad derselben im voraus verbürgen, weil kein Kriegs¬ 
minister, kein Generalstabschef und kein Marinechef Vorhersagen kann, 
welche Fortschritte mittlerweile die rivalisierenden Armeen und Marinen 
gemacht haben werden und welche neue Erfindungen oder Vervollkomm¬ 
nungen auf dem Gebiete der Kriegstechnik eingetreten sein werden. 
Zu diesem Gedankengange halte ich es daher überhaupt nicht für 
richtig, davon zu sprechen, daß die italienischen Streitkräfte in diesem 
oder jenem Jahre ihre Schlagfertigkeit, ihre Kriegsbereitschaft erreichen 
werden. 
Die Kriegsbereitschaft ist meiner Ansicht nach nicht etwas Absolutes, 
sondern etwas Relatives, hängt von dem Grade der gleichzeitigen Fort¬ 
schritte der eventuellen Gegner ab, sie ist aber auch nicht der Endpunkt, 
sondern, wenn man sich keiner Täuschung hingeben will, nur eine 
Etappe im Verlaufe einer vorläufig noch unabsehbaren Entwicklung. 
Dies vorausgeschickt und mit den in diesen unvorgreiflichen Deduk¬ 
tionen enthaltenen, sehr wesentlichen Reserven kann ich, wenn ich mir 
zu diesem Zwecke die Terminologie des Herrn Chefs des Generalstabes 
zu eigen machen darf, die Frage, ob die Erreichung der Schlagfertigkeit 
der italienischen Armee und Marine auf das Jahr 1912 eingestellt ist, 
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