Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Balkan. Am Balkan warfen die Ereignisse bereits die Schatten 
des Krieges voraus, der am Schlüsse des folgenden Jahres (1912) in über¬ 
raschender Weise über die Türkei hereinbrach. In welch schwieriger 
Lage die Türkei sich befand, geht aus den früheren Schilderungen hervor. 
Mit Besorgnis sah sie auf das Verhalten ihrer Nachbarn. 
Die Auffassung der Lage in Konstantinopeler Kreisen spiegelte sich 
in den Berichten wieder, die ich von unserem dortigen Militärattache 
erhielt. 
Gelegentlich der schon früher erwähnten Unterredung desselben mit 
Izzet Pascha, dem türkischen Chef des Generalstabes, wies letzterer auf 
eine griechisch-bulgarische Annäherung hin. Auch kam als symptomatisch 
zur Sprache, daß dem serbischen und dem bulgarischen Militärattache 
griechische Orden verliehen wurden und der serbische Oberst Illic sich 
mitten im Winter nach Athen begeben hatte, um dort mit den griechischen 
Armeekreisen in Verbindung zu treten. 
Wie der k. u. k. Militärattache zu Izzet Pascha äußerte, dürfte sich 
für die kleinen Balkanstaaten kaum eine günstigere Gelegenheit bieten, 
über die Türkei herzufallen, als jetzt. Aber dieselben waren noch in 
eifriger Reorganisation und Ausgestaltung ihrer Heeresmacht begriffen, 
auch schien Rußland, wie ein Bericht des Oberst Pomiankowski vom 
23. Juli 1911 ausführt, zu dieser Zeit einen Balkankrieg nicht zu 
wünschen. Montenegro, das den albanesischen Aufstand förderte, lief 
Gefahr, isoliert zu bleiben. Bulgarien blickte auch mit Mißtrauen auf 
Rumänien, das es in einem Vertrag mit der Türkei verbunden wähnte. 
Gerüchtweise soll der rumänische General Robesco inkognito in 
Konstantinopel geweilt haben. Konstantinopeler Tagesblätter brachten 
die Nachricht, daß der dortige rumänische Militärattache in letzter Zeit 
zweimal stundenlange Unterredungen mit dem Kriegsminister Mahmud 
Schefket Pascha hatte. 
Österreich-Ungarn war bemüht, freundschaftliche Beziehungen mit 
der Türkei zu pflegen, aber sein Bundesverhältnis zu Italien, mit dem 
die Türkei im Kriege lag, sowie die Empfindlichkeit der türkischen Staats¬ 
männer gegen Beeinflussungen von außen und deren Mißtrauen in die 
Politik der Monarchie machten sich hiebei erschwerend geltend; ein 
Bericht vom 26. Juli hebt dies hervor. Ein Brief des Oberst von 
Pomiankowski vcm 3. Oktober 1911 enthielt die Mitteilung, daß der 
serbische Gesandte in Konstantinopel Nenadovic unserem Botschafter 
gegenüber geäußert habe, die Stimmung in Serbien und Bulgarien sei 
sehr erregt, die Regierungen geben sich zwar alle Mühe, die Ruhe zu 
erhalten, doch könne man, wenn der Konflikt fortdauert, für nichts gut¬ 
stehen.
	        
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