Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

gegen Konstantinopel abzuraten. Er führt aus, daß eingeweihte Persön¬ 
lichkeiten, und zwar aiuch Türken, das schließliche Nachgeben der 
Pforte voraussehen, da auch Frankreich und Rußland das Interesse 
hätten, eine starke Türkei nicht aufkommen zu lassen. Hinsichtlich 
Englands aber heißt es: 
„England, das der Stimmung seiner mohammedanischen Untertanen 
bis zu einem gewissen Grade Rechnung tragen muß, unterstützt die 
Türkei in mancher Beziehung bei Organisierung des Widerstandes in 
Benghasi und nimmt auch sonst einen dem Osmanischen Reiche recht 
wohlwollenden Standpunkt ein. So viel ich jedoch höre, weicht es 
bisher jeder seriösen Besprechung bezüglich eines dezidierten Schrittes 
zu Gunsten der Türkei, sowie betreffs Neugestaltung der englisch¬ 
türkischen Beziehungen geflissentlich aus. Als Bedingung für die ernst¬ 
liche englische Unterstützung wird der Sturz des von den Jungtürken 
abhängigen Kabinetts Said Pascha und Berufung einer neuen Regierung 
kiamilistischer Richtung bezeichnet oder angedeutet. Einen sichtbaren 
Beweis für diese englische Tendenz erblickt man in Konstantinopel in 
dem Empfange des in Ägypten weilenden Kiamil Pascha in Port Said 
durch König Georg*) anläßlich der Durchreise der Majestäten nach 
Indien. 
Trotz der unleugbaren Verdienste des Großveziers Said Pascha 
betrachtet man in manchen türkischen Kreisen die Erfüllung des eng¬ 
lischen Wunsches schon in nächster Zeit als nicht ausgeschlossen. Denn 
unter dem Eindruck des Ausganges der Marokko-Affäre, sowie des 
Unvermögens von Seite Deutschlands, die Türkei gegen Italien zu unter¬ 
stützen, gewinnt der Wunsch nach einer Anlehnung an England immer 
mehr Anhänger und Intensität. Der frühere Marineminister Mahmud 
Muktar Pascha sagte mir ganz offen, daß man, um den Kern des Reiches 
zu erhalten, Konzessionen an der Peripherie machen müsse; er meinte 
hiebei offenbar Konzessionen in Mesopotamien und Arabien, dann 
Anerkennung des Faschoda-Vertrages und vielleicht sogar eine Kon¬ 
zession bezüglich Tobruk zu Gunsten Englands. 
Die Freundschaft Englands hat überdies noch deshalb einen 
besonderen Wert, weil man durch dessen Einfluß hofft, von Frankreich 
eine Anleihe zu erhalten.“ 
Eine bemerkenswerte Stelle enthält der Bericht noch bezüglich 
Rußlands, und zwar: 
*) König Georg und die Königin reisten damals zur Kaiserkrönung 
nach Delhi. 
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