Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

nationale Moment bei weitem das religiöse, bei dem niederen Volk ist 
dieser Prozeß gegenwärtig im Werden begriffen. 
Sehr zustatten kommt dagegen der Regierung die Uneinigkeit der 
albanesischen Stämme untereinander. Doch auch in dieser Beziehung 
hat die revolutionäre Propaganda Fortschritte aufzuweisen. Denn 
während im Vorjahre der Süden und Westen ganz ruhig geblieben ist, 
gelang es dem Revolutionskomitee, schon heuer im größten Teile 
Albaniens nationalalbanesische Petitionen hervorzurufen, Banden zu 
organisieren und Unruhen zu stiften. 
Angesichts dieser Umstände scheint mir der Optimismus der 
türkischen Regierung in Bezug auf die mohammedanischen Albanesen 
einigermaßen gewagt zu sein. 
Hiesige Albanesen erklären mir vertraulich, daß ihr Endziel nur 
die völlige Unabhängigkeit Albaniens von der Türkei sei und sie jede 
Gelegenheit ergreifen werden, um diesem Ziele näher zu kommen. Wenn 
man auch diese Auslassungen der albanesischen Hitzköpfe nicht wört¬ 
lich nehmen kann, so geht doch aus denselben hervor, daß die Türkei 
im Kriegsfälle mit Montenegro auf die Treue der mohammedanischen 
Albanesen schon jetzt nicht mit Sicherheit zählen kann und entsprechend 
starke Kräfte dazu verwenden muß, um eventuelle Aufstandsversuche 
zu verhindern, beziehungsweise zu unterdrücken.“ 
Der Bericht führt weiter aus, daß das Ziel des Königs Nikita von 
Montenegro die Vereinigung seines Landes mit Albanien sei, daß er 
„durch sein Eingreifen in der Mallisoren-Frage seine Aspirationen 
enthüllt und gleichsam seine Kandidatur für Albanien vor Europa auf¬ 
gestellt habe“, daß er den Krieg mit der Pforte provozieren wolle und 
dabei auf die Unterstützung Italiens und Rußlands rechne. 
Die Zustände in Albanien waren die e i n e offene Wunde am auch 
innerlich kranken Körper der Türkei, als zweite kam, ganz abgesehen 
von dem bloß lokalen Drusen-Aufstand*), der Aufstand in Syrien und 
Arabien hinzu. 
Der Antagonismus zwischen den Türken und den sich kulturell 
höher fühlenden Arabern, die Differenzen auf politischem und religiösem 
Gebiet, die autonomistischen Tendenzen der Araber, die Idee eines selb¬ 
ständigen Kalifates, aber auch die Unabhängigkeitsbestrebungen ein¬ 
zelner Stammeshäupter ebneten dafür den Boden und waren Momente, 
die England ausnützte, mit dem Ziel, sich einen gesicherten Landweg 
von Ägypten nach dem Persischen Golf und Indien zu schaffen. 
Die Scheichs I d r i ß und J a h i a eröffneten den Aufstand mit der 
Belagerung von Sana. 
*) Drusen ein ca. 100.000 Köpfe zählender Stamm im Libanon. 
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