Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

anlaßt. Wie ich schon vorher zu bemerken die Ehre hatte, hat die 
radikale Opposition die Angelegenheit der Wehrvorlage mit jener des 
allgemeinen Wahlrechtes verquickt, und ist es insbesondere der Führer 
dieser Partei, Herr v. Justh, welcher den Satz aulgestellt hat, daß vor 
allem das Wahlgesetz zu schaffen sei und erst das aus dem allgemeinen 
Wahlrecht hervorgegangene, neue Abgeordnetenhaus das Wehrgesetz 
erledigen möge. Nun hat Herr v. Justh in einer am letzten Sonntag 
stattgehabten Volksversammlung, die in politischen Kreisen großes Auf¬ 
sehen erregende Äußerung getan, daß er wohl dabei verbleibe, das 
Wehrgesetz (also auch die Frage der Dienstzeit) erst nach den Neu¬ 
wahlen definitiv zu erledigen, bei Sicherung der Wahlreform aber auf 
ein Provisorium, das heißt darauf eingehe, daß der Armee das unter 
den heutigen Verhältnissen unbedingt notwendige erhöhte Rekruten¬ 
kontingent votiert werde. Näher hat sich Herr v Justh auf die Sache 
nicht eingelassen und wird es, wie er mir gestern mitteilte, auch nicht 
tun, zumal er als Nichtfachmann über das Erfordernis nicht orientiert 
ist und von mir Orientierung verlangte, die ich für den Fall in Aussicht 
stellte, wenn die Sache eventuell Aktualität gewinnen sollte. Mich 
speziell interessiert die Wendung, weil sie sich meinem Standpunkt 
nähert und auf eine Novelle zum Wehrgesetz abzielt. Jedenfalls hat 
die Äußerung Herrn v. Jusths eine symptomatische Bedeutung. 
Ich bitte E. E., die hier geschilderte momentane Situation nach 
bestem Ermessen zu würdigen. Ich würde nur wünschen, daß die Folge 
mich der Schwarzseherei überweise, was ich indessen nicht glaube. Es 
wird sich das trotz des Waffenstillstandes noch in diesem Jahre zeigen, 
da es als ziemlich gewiß anzusehen ist, daß während der kurzen 
Tagung der Delegation Ende Dezember die Opposition die Gelegenheit 
nicht vorübergehen lassen wird, vom Kriegsminister Aufklärungen zu 
verlangen und ihn zur Stellungnahme zu drängen. Es sollte darum 
keine Zeit verloren werden, in die Angelegenheit Klarheit zu bringen. 
Allerdings ist es ein höchst mißlicher Umstand, daß das österreichische 
Parlament zu der Wehrvorlage noch nicht Stellung genommen hat und 
die dortige Auffassung bezüglich der einheitlich zu lösenden Angelegen¬ 
heit nicht mit in Kombination gezogen werden kann. 
Immerhin glaube ich der guten Sache zu dienen, wenn ich E. E. 
die Situation, so wie sie bei uns beschaffen ist, ohne Rückhalt vorführe. 
Ich benütze die Gelegenheit, E. E. meiner vorzüglichen Hoch¬ 
achtung und aufrichtigsten Ergebenheit zu versichern. 
Franz v. Bolgär.“ 
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