Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

mit Bezug auf England. Er meinte aber auch, daß Österreich-Ungarn 
im Hinblick auf Paralysierung der kleinen Balkanstaaten das gleiche 
Interesse haben müsse. 
Der General erwähnte, daß die türkische Armee in einigen Jahren 
sehr gut sein werde, die Soldaten vorzüglich, die jungen Offiziere sehr 
lernfreudig seien. Es bestünde ein Zweifel nur darüber, ob sich die neue 
Regierung konsolidieren wird. Verhandlungen wären daher dermalen noch 
inopportun und erst zulässig, sobald auf dauernde Ruhe zu rechnen sei. 
Was Rußland anbelangt, sei in Deutschland gleichfalls alles für die gemein¬ 
same Aktion im Falle russischen Angriffes vorbereitet. Auch für den 
übrigens unwahrscheinlichen Fall, daß sich Frankreich am Kriege nicht 
beteiligen sollte. 
General von Moltke bezeichnete die Rückverlegung der russischen 
Korps, sowie die Rückverlegung des russischen Aufmarsches als jetzt 
ganz sicher, ebenso auch die Bildung einer Zentralarmee. Er ersah darin 
für eine etwaige eigene Offensive im Kriegsfälle gegen Rußland allein 
einen Nachteil, weil man tief in russisches Gebiet hineingezogen werden 
würde, im Falle gleichzeitigen Krieges gegen Frankreich oder etwa Frank¬ 
reich und Italien aber einen Vorteil wegen der gegen diese Mächte damit 
gewonnenen größeren Zeitspanne bei Kriegsbeginn. Japan, meinte der 
General, sei sehr im Auge zu behalten, ein Gegensatz zwischen diesem 
Staat und England möglich. 
In einer Audienz am 31. Jänner 1910 berichtete ich Seiner Majestät 
über die obdargelegten Angelegenheiten, sowie über ein Schreiben des 
Generals von Moltke, wonach Deutschland beabsichtige, falls es durch 
Rußland zum Krieg gezwungen würde, das Verhalten Frankreichs durch 
eine kurzfristige Scmmation zu klären. Ich erbat für den analogen Fall 
ein gleiches Vorgehen unsererseits gegenüber Italien. 
Der Kaiser entschied, daß ich einen diesbezüglichen, ihm vorher 
vorzulegenden Brief an Graf Ährenthal und an General von Moltke zu 
richten habe. 
Ich komme hierauf noch eingehender zurück. 
Im Feber 1910 ging mir seitens unseres Militärattaches in Berlin, 
Major Freiherrn von Bienerth, ein bemerkenswerter Bericht über 
Gespräche des ö.-u. Botschafters in Berlin mit Kaiser Wilhelm II. zu. 
Betreffend das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Rußland und eine 
gegenseitige Annäherung beider Staaten meinte der Kaiser, daß es wohl 
auch an Rußland sei, diese Annäherung anzustreben. Nach den ihm 
zugekommenen Berichten sei Rußland auch dermalen noch nicht in der 
Lage, irgend nennenswerte Kräfte gegen Westen zu mobilisieren, daher 
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