Volltext: Graf Stefan Tisza

77 
Es war damals bereits offenes Geheimnis, daß Tisza einen 
detaillierten Entwurf zur Revision der Geschäftsordnung in 
seiner Mappe bereit halte. Die Opposition erblickt in ihm den 
Mann der Zukunft, sie konzentriert alle Geschosse gegen ihn 
und läßt kein Mittel unversucht, um ihn unschädlich zu 
machen. So wird vor allem seine volkswirtschaftliche Tätig¬ 
keit unter die Lupe genommen. Das geplante „Inkompatibi- 
litätsgesetzf“, das sich gegen die Betätigung von Abgeordneten 
in volkswirtschaftlichen Unternehmungen richtet, ist in erster 
Linie gegen Tiszas Person gemünzt. Man trachtet, zwischen 
seiner bei der Adria-Gesellschaft bekleideten Stellung und 
seinem Abgeordnetenmandat ein Verhältnis der Inkompati¬ 
bilität festzustellen. Tisza verwahrt sich energisch gegen diesen 
Vorwurf, behauptet, seine Tätigkeit im Wirtschaftsleben habe 
das einzige Ergebnis gezeitigt, daß er ■— seinen just nicht 
extravaganten Ansprüchen gemäß — aus eigenen Kräften ein 
anständiges Auskommen gefunden habe. Als dieselbe Affäre 
etliche Monate später wieder breitgetreten wird, befleißigt 
sich Tisza einer bei ihm sonst ganz ungewohnten Mitteilsamkeit 
und eröffnet, Koloman Tisza habe die Macht nie im Interesse 
seiner Familie ausgeübt, ja vielmehr während seiner langen 
öffentlichen Laufbahn materielle Verwicklungen für sich und 
seine Familie geschaffen. Da sah er, Stefan Tisza, sich denn 
gezwungen, durch redliche Arbeit auf wirtschaftlichem Ge¬ 
biete die Kosten seines Budapester Aufenthaltes zu decken, 
sofern er der öffentlichen Laufbahn nicht entsagen wollte. 
„Ich appelliere an die ganze arbeitende Gesellschaft dieses 
Landes“, — ruft er zum Schluß nicht ohne starke Wirkung 
aus. „Es dürfte wohl nur sehr wenige in Ungarn geben, die 
da der Ansicht sind, daß Arbeit schände.“ 
Während solcher peinlichen Auseinandersetzungen ver¬ 
schärft sich die parlamentarische Krise zu noch nicht erlebten 
Dimensionen. Diesmal sind es die Wirtschaftsverhandlungen 
mit Österreich, die den Sturm entfesseln. Infolge der öster¬ 
reichischen Parlamentswirren gelingt es nicht, die Ende 1897 
ablaufende Zoll- und Handelsunion mit Österreich rechtzeitig 
zu erneuern. Die Regierung bringt also einen Gesetzentwurf 
ein, _ der zwar die rechtliche Selbständigkeit Ungarns in 
zollpolitischer Hinsicht deklariert, aber die Beziehungen 
zwischen den beiden Staaten der Monarchie dennoch für ein 
weiteres Jahr provisorisch regelt. Schon diese zwiespäl¬ 
tige Lage erhitzt die Opposition, die sich vorbehaltlos auf
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.