Volltext: Graf Stefan Tisza

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ziemlich ungewohnte Erscheinung. Dieser Eindruck wurde 
durch seine nicht allzu tief greifende Bildung und die klei¬ 
neren und größeren Schnitzer in seinen Eeden nur noch 
erhöht. Doch gelang sein Debüt trotz solcher ungünstigen 
Vorzeichen über Erwarten. Er brachte die noch restlichen 
Kirchengesetze mit glücklicher Hand unter Dach und Fach, 
trat unter einmütiger Billigung der Opposition sehr geharnischt 
gegen den apostolischen Nuntius in Wien, Agliardi, auf, der 
angeblich einen Besuch bei dem ungarischen Fürstprimas zu 
Kundgebungen gegen die amtliche Kirchenpolitik benutzt hatte, 
und führte durch diese Stellungnahme den Sturz des k. u. k. 
Außenministers Grafen Kälnoky herbei, der sich für Agliardi 
engagiert hatte. Solche parlamentarischen Erfolge, bei denen 
Desider Szilägyis energisches Hauspräsidium den Bestrebungen 
des Ministerpräsidenten sehr entgegenkam, wurden durch 
äußere Momente noch erheblich unterstützt. 1896 beging ganz 
Ungarn in einem noch nicht erlebten Freudensrausch die 
Millennarfeier seines staatlichen Bestandes, die mit ihrem 
Glanz und den Kundgebungen wirtschaftlicher Kraft zugleich 
ein Bewährungsfest des Ausgleiches von 1867 war. Ein Jahr 
später aber fand in Budapest der jubelnde Empfang Kaiser 
Wilhelms II. statt, bei welchem Anlaß der deutsche Kaiser in 
seiner Tischrede durch Erwähnung von Namen wie „Zrinyi1“ 
und „Sziget“, „bei deren Nennung das Herz jedes deutschen 
Jünglings lauter schlägt1“, den Nationalstolz der Ungarn gewal¬ 
tig anzufachen wußte. 
Doch in seinem Bestreben, der Armeefrage und den Wirt¬ 
schaftsverhandlungen mit Österreich einen glatten parlamenta¬ 
rischen Verlauf zu sichern und der Obstruktion für immer die 
Giftzähne zu nehmen, ließ sich Bäirffy zu einem höchst über¬ 
flüssigen Gewaltakt hinreißen, der gerade das Gegenteil der 
bezweckten Wirkung hervorrief. Er leitete die Parlaments¬ 
wahlen vom Herbst 1896 mit einem selbst in der Geschichte 
der ungarischen Wahlkämpfe beispiellosen Terror, der zwar 
eine empfindliche Schrumpfung sämtlicher Oppositions¬ 
parteien zur Folge hatte, aber zugleich den wüstesten, erbitter¬ 
testen Widerstand von seiten der neuen Zwergminorität auf- 
flammen ließ. Man fühlte sich wieder an die tollsten Zeiten 
der Obstruktionsära erinnert, ohne daß einstweilen noch 
irgendwelche Militärparagraphen zur Verhandlung ständen. 
Die Einbringung einer harmlosen Preßnovelle genügte, um sämt¬ 
liche Oppositionsgeister in den hellsten Aufruhr zu bringen.
	        
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