Volltext: Graf Stefan Tisza

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Zeiten keine andere Wirtschaftsordnung als die kapitalistische 
vorstellen, denn „solange sich die menschliche Natur nicht 
von Grund aus ändert, bleiben Privatvermögen und Privat¬ 
kapital die einzig sicheren Grundlagen von Produktion und 
materiellem Wohlstand, und jedes Bestreben, hieran etwas zu 
ändern, erweist sich als Utopie, die zu hohlen Illusionen und 
unschuldig vergossenem Blut führt." Er meint also, „man 
habe die fortschrittlichen Reformen nicht in Angriffen gegen 
das Kapital, nicht in der Verwirklichung kollektivistischer 
Träume zu suchen. Wohl aber in einer Serie von Verfügungen, 
durch die sich das Los derjenigen, die einzig auf den Ertrag 
ihrer Arbeit angewiesen sind, in Hinkunft menschenwürdiger 
gestaltet/' Und in einer Rede an seine Wähler streift er auch 
die Frage der landwirtschaftlichen Arbeiter: „Hier, wo mich 
jeder kennt, muß man wissen, daß ich ein aufrichtiger, wohl¬ 
wollender Freund der Arbeiter bin, daß ich ihren Erwerb 
niemals kürzen will, ja im Gegenteil der Ansicht bin, daß auch 
der Besitzer nur dann auf seine Kosten kommen kann, wenn 
seine Arbeiter anständig verdienen und zufrieden sind/' 
Das Bild des liberalen Staatsmannes Tisza wäre nicht 
vollständig, wenn es nicht durch solche soziale Kostproben 
ergänzt wäre. Zu dem Porträt des Liberalen gehört aber auch 
eine umfassende historische Studie, in der Tisza 1897 in einer 
ungarischen Zeitschrift zu den damals von Georges Duruy 
veröffentlichten Memoiren des französischen Revolutions¬ 
führers Barras Stellung nimmt. Die Bedeutung dieser Studie 
liegt nicht etwa in den Betrachtungen, die der ungarische 
Staatsmann an diese zähe und gewissenlose Gestalt der franzö¬ 
sischen Revolution knüpft, die von Ludwig XVI. bis auf Na¬ 
poleon sich sämtlichen Kursen angeschlossen hat, indem er 
Barras als den „klügsten aber zugleich verderblichsten Poli¬ 
tiker der Ära Talleyrand" bezeichnet, sondern darin, daß 
dieser Essay eine für Tisza bezeichnende Sammlung von poli¬ 
tischen und weltanschaulichen Axiomen enthält. So urteilt er 
von der Revolution, daß sie „die Begriffe des Anstandes, der 
Anständigkeit und Moral erschüttere". Demgegenüber hält er 
dafür, daß „der ruhige Genuß der Freiheit von den Nationen 
erst errungen werden muß, undzwar nicht nur in kritischer 
Lage, sondern auch in den täglichen Kämpfen des öffent¬ 
lichen Lebend". Auch tritt die Abneigung Tiszas gegen die 
materialistische Geschichtsauffassung wieder vehement in 
Erscheinung. „Ist es denn nicht eine ernüchternde Einseitig¬
	        
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