Volltext: Graf Stefan Tisza

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Versammlung den Wählern erklärt, Kossuth habe ihm am 
Sterbebett auf getragen, durch seine Kandidatur das Vater¬ 
land zu retten. 
Ursprünglich eine Zwergpartei, gewinnen die „Unabhän¬ 
gigen^ zusehends an Stärke. Nach den Wahlen von 1884 
zählen sie trotz der Wahlmanöver der Regierung bereits 73 
Mitglieder. Ihnen gehören auch lautere Charaktere und ge¬ 
läuterte politische Köpfe zu, wie Daniel Iränyi, dieser Vor¬ 
kämpfer jedes freiheitlichen Fortschrittes, oder Karl Eötvös, 
dieser vortreffliche Redner und Jurist, -der im berüchtigten 
Tiszaeszlärer Ritualmordprozeß das Häuflein wüster antisemi¬ 
tischer Hetzer an den Pranger stellt. Aber neben solchen 
Führergestalten regt sich bereits frühzeitig auch ein Troß 
der Schreier, der den rauflustigen Pöbel durch die endlose 
Variation ewig gleicher chauvinistischer Losungen immer 
wieder in Wallung bringt. Und noch bedenklicher scheint, 
daß den Unabhängigen in ihrer Politik nationaler Forderun¬ 
gen auch die gemäßigte Opposition, an ihrer Spitze Graf Albert 
Apponyi, sekundiert. 
Als das klassische Zeitalter des ungarischen Parlamenta¬ 
rismus gilt die kurze Epoche, in der das Gros der Opposition 
in seinen politischen Zielen von der Regierungspartei noch 
nicht sehr weit entfernt ist, ja zum Teil selbst einen gouverne- 
mentalen Ehrgeiz hegt. Doch mit der Stärkung der Achtund¬ 
vierziger Partei ändert sich allmählich die Situation. Kontrolle 
wird zur Schikane, rationeller Widerspruch zu wüstem Lärm, 
persönliche Invektiven wiederholen sich immer häufiger, 
Duelle zwischen politischen Gegnern gehören zur Tages¬ 
ordnung. Eine Anzahl von Problemen kann ohne die Herauf¬ 
beschwörung der turbulentesten Szenen überhaupt nicht 
erörtert werden, so die Wirtschaftsverhandlungen mit Öster¬ 
reich, die bei der auf das selbständige ungarische Zollgebiet 
eingeschworenen Opposition stets dem schärfsten Wider¬ 
spruch begegnen, dann die leidige „Nationalitätenfrage'“, in der 
sich die sonst um demokratische Losungen nie verlegene Linke 
aufs Unduldsamste gebärdet und durch ihre Scharfmacher ei 
auch den von Haus aus duldsamen Koloman Tisza zu gehar¬ 
nischtem Vorgehen gegen die unzufriedenen nationalen Min¬ 
derheiten drängt, vor allem aber das Aufrollen der Armee¬ 
frage, wodurch gleichsam automatisch die nationalen Los¬ 
lösungsinstinkte aufgestachelt werden. 
Die Armeefrage ist es auch, die das chronische Gebrest
	        
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