Volltext: Graf Stefan Tisza

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hunderttausender Ungarn auf dem Gewissen zu haben. Mit 
erhobener Stimme weist Tisza die Beschuldigung von sich, 
entgegnet seinen Anklägern, daß sie irregeführt worden seien. 
Doch die Eindringlinge sind über ihre Bolle schon im voraus 
einig geworden. Sie eröffnen Tisza, er habe am längsten gelebt, 
und legen die Gewehre an. Ein Leben lang daran gewöhnt, das 
Schicksal nicht untätig über sich hereinbrechen zu lassen, 
versucht Tisza auch jetzt, im letzten Augenblick noch, todes¬ 
bereit zwar, doch mit der Befiex'bewegung des unausgesetzt 
Kämpfenden, sich dem Verhängnis entgegenzuwerfen. Er 
schiebt den Gewehrlauf des vor ihm stehenden Soldaten zur 
Seite. Doch wird er weggestoßen, und unmittelbar darauf 
erfolgt eine mehrfache Detonation. Blutüberströmt stürzt Tisza 
zu Boden, seine Frau wird ohnmächtig, die Gräfin Almäsy, 
die ihn mit dem eigenen Leib zu decken sucht, empfängt 
mehrere Wunden im Gesicht und auf der Hand. Tisza stößt 
noch einige unverständliche Laute aus, und zuletzt stammelt 
er mit ersterbenden Lippen: „Das hat so kommen müssen .. 
Wenn es waJhr ist, daß sich Sinn und Lauf des voll¬ 
endeten Lebensschicksals noch einmal flüchtig der schwindend- 
erhitzten Phantasie des Sterbenden offenbaren, so berühren 
Graf Stefan Tiszas letzte Worte als eine symbolische Botschaft 
vom Bande des Jenseits, als ein durch und durch persönliches 
Bekenntnis noch zuletzt. Es ist dann nicht bloß ein letztes, 
krampfhaftes Sich-Klammern an die Prädestinationslehre sei¬ 
ner Beligion. Es ziehen dann im Flug mannigfaltige Szenen 
des Vollbrachten und Verfehlten vorbei, und das Gefühl des 
abschließenden Scheiterns überschattet die alten Sieger¬ 
instinkte. Einlenkend, abfeilend, die Eitelkeit der Gegner scho¬ 
nend, hätte sich wohl allerhand erübrigen, zum Besseren wen¬ 
den lassen. Vielleicht hätte die unverwüstliche Geschmeidigkeit 
des Vaters manchen unnützen Konflikt zu meiden gewußt. 
Konnte, durfte er aber anders? War es ihm möglich, auch nur 
einen Deut von Art und Streben der anderen für sich zu an¬ 
nektieren? Ist es ihm gestattet, jetzt im Vergehen, mit sich 
selbst zu rechten? Die Bilder entschwinden, aber das verbin¬ 
dende, tröstende Erkennen bleibt bis zum letzten Augenblick. 
Vergeblich ist jeder Aufruhr gegen das eigene Ich. Alles ist 
in sich geschlossen, sich selbst entsprießend, auf sich selbst 
bauend. Würde man von neuem anfangen, so würde man in 
der gleichen Weise enden. Denn das hat so kommen müssen!
	        
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