Volltext: Graf Stefan Tisza

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liehe Kriegsteilnehmer oder doch zumindest diejenigen, die 
sich während einer Reihe von Wochen an der Front bewährt 
haben: die Eigentümer des sogenannten „Karl-Truppen- 
kreuzes“, mit der Wahlberechtigung belohnt werden. Als 
Hauptanwalt einer weitherzigen Wahlreform ereifert sich nun 
der Demokrat Wilhelm Väzsonyi, seit Jahren ein überaus 
geschäftiger Vertreter der hauptstädtischen und Mittelstands¬ 
interessen und schon von den Zeiten der Koalition her Tiszas 
erbitterter Gegner. Mit Forderungen im Namen der Helden in 
den Schützengräben, die an der Geltendmachung ihrer Rechte 
selbst verhindert sind, rückt man Tisza, dem fest Gepanzer¬ 
ten, bedenklich an den Leib und droht, ihn in die Achilles¬ 
ferse zu treffen. Wäre nicht jetzt — so fragt der Mann auf 
der Straße — der letzte Augenblick zur großen Geste, zum 
befreienden Versprechen gekommen, auch wenn man grund¬ 
sätzliche Bedenken hegt, auch wenn man die in Aussicht 
gestellten Reformen nicht bis zum letzten Buchstaben zu ver¬ 
wirklichen gedenkt? Wird irgendjemand im Volke verstehen, 
warum den Braven,; die für ihr Vaterland alles opfern, Rechte 
vorenthalten werden sollen? Hier läuft übertriebene Offenher¬ 
zigkeit Gefahr, einen Wust der Mißverständnisse heraufzube¬ 
schwören, Tiszas aufrechte Gestalt im Volksbewußtsein zu 
schwärzen, einen scharfen Trennungskeil zwischen rechts und 
links, zwischen amtliche Politik und öffentliche Meinung zu 
schlagen. Das- alles aber vermag Tiszas Prinzipientreue nicht 
anzufechten. Unwandelbar sieht er die Gefahren vor sich, die 
eine weitere Ausdehnung des Wahlrechts für die Sicherheit 
des historischen Ungarn zur Folge hätte. Der Krieg hat solche 
Gefahren noch näher gerückt, der Fall Rumänien scheint es 
deutlich genug zu beweisen. Vielleicht ließe sich nach dem 
Kriege noch über einige Konzessionen an Arbeiter und kriegs¬ 
gediente Soldaten sprechen. Aber die ganze verwickelte und 
aufreizende Materie just jetzt in die Debatte zu schleudern, 
dem gespannt lauschenden Feind das Bild innerer Zerwürf¬ 
nis zu bieten, erscheint Tisza als ein verhängnisvolles Wagnis, 
das er mit seiner Verantwortung keinesfalls zu decken ver¬ 
möchte. Nicht minder heftig als 1905 und 1912 stürmt er ge¬ 
gen die Künder des allgemeinen Wahlrechts los, nimmt keinen 
Anstand, von einem „Modeschlagwort“ zu sprechen, verwahrt 
sich dagegen, daß man seine Wahlreform von 1913 als konser¬ 
vativ oder gar als reaktionär hinstelle. Die Kämpfer in den 
Schützengräben werden seine, Tiszas, Stellungnahme verstehen.
	        
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