Volltext: Graf Stefan Tisza

Parteihader in die Festakkorde der Krönungsmesse hinüber, 
und über das Ganze flattert das Gespenst gegenwärtiger und 
zukünftiger Kriegssorgen. Nichtsdestoweniger will man sich 
keine Partikel von dem üblichen Festprogramm entgehen 
lassen. Nicht nur die Krönungszeremonie, die feierlichen 
Schwerthiebe nach allen vier Himmelsrichtungen hoch zu 
Kosse auf dem Festungshügel, der Aufmarsch des ganzen 
Magnatenheeres in ungarischer Gala soll ohne Kürzung statt¬ 
finden, auch das Volk will seine Rechnung finden bei Ochsen 
am Spieß und etlichen kulinarischen Darbietungen mehr. 
Einen Kardinalpunkt der Anordnung gilt es allerdings 
noch, zu bereinigen. Im Jahr 1867 war es der Ministerpräsi¬ 
dent Graf Julius Andrässy, der im Verein mit dem höchsten 
kirchlichen Würdenträger, dem Fürstprimas, die Krone auf 
das Haupt des Herrschers setzte. In früheren Zeiten war dies 
das Amt des Palatins, des höchsten Hofbeamten, gewesen, 
der seit dem Zeitalter der Arpadenfürsten aus den Reihen des 
Hochadels auserkoren worden ist. In der späteren Habsburg¬ 
periode ist dann diese Würde dem in der ungarischen Haupt¬ 
stadt ansässigen habsburgischen Erzherzog überantwortet 
worden. Seit 1848 gab es jedoch keinen Palatin mehr, und 
nichts schien Tisza selbstverständlicher, als daß die Ausübung 
dieses Ehrenamtes, wie seinerzeit Andrässy, nun ihm als 
ungarischem Ministerpräsidenten obliege. Die Opposition dachte 
aber anders. Sie entdeckte plötzlich, daß der Nachfolger der 
alten habsburgischen Palatine, Erzherzog Joseph, ja immer 
noch in Budapest residiere. Schien es nicht sehr gelegen, die 
alte Pälatinswürde nun wieder aufleben zu lassen und sie 
gegen die unbeliebte Person des kalvinischen Ministerpräsi¬ 
denten auszuspielen, von dem es doch unter allen Umständen 
eine grenzenlose Anmaßung wäre, eine hohe kirchliche Funk¬ 
tion in der Krönungskathedrale als Protestant auszuüben? 
Es gilt, einen solchen Gedanken im Keime zu ersticken. So 
wird denn noch vor der Grablegung Franz Josephs das Ge¬ 
rücht von der Kandidatur des Erzherzogs Joseph kolportiert. 
Indes ist Tisza nicht aus dem Holz geschnitzt, um eine 
solche Herausforderung unerwidert einzustecken. Un- 
versäumt nimmt er den Fehdehandschuh auf. Was sonst viel¬ 
leicht bloß eine selbstverständliche Amtshandlung für ihn 
gewesen wäre, das wird nun Objekt seiner höchsten patriotischen 
Erregung: dem Krönungszug voranzuschreiten und seinen 
König zu krönen, Schon am 27, November bezeichnet es Tiszas
	        
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