Volltext: Graf Stefan Tisza

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haben sich wieder zu einer Aproposgemeinschaft vereinigt, 
die stürmisch Tiszas Rücktritt fordert. Andrässy erneuert 
seinen Antrag über die Einberufung der Delegationen, Appo- 
nyi wünscht die Ausübung öffentlicher Kontrolle durch einen 
parlamentarischen Ausschuß. Der Gedanke eines Konzen¬ 
trationskabinetts, an dessen Spitze ein Parteiloser zu stehen 
hätte, taucht wieder auf. 
Günstigere Nachrichten vom siebenbürgischen Kriegs¬ 
schauplatz: Vertreibung der Eindringlinge durch die vereinig¬ 
ten deutsch-österreichisch-ungarischen Truppen, Vordringen 
auf rumänisches Gebiet, entkleiden auch den parlamentari¬ 
schen Streit über die siebenbürgische Frage seiner Aktualität, 
aber die gereizte Stimmung gegen das Regime Tisza will nicht 
mehr schwinden. Immer wieder findet man neue Anlässe zu 
herausfordernden Interpellationen, ob es sich nun um die 
Übernahme des höchsten Militärkommandos durch Kaiser 
Wilhelm, um die Auszeichnung des Grafen Czernin oder um 
Mißbräuche im Teschener Hauptquartier und den Fall 
Auffenberg handelt. Die königliche Verordnung, die die dienst¬ 
pflichtigen Abgeordneten ins Feld ruft, veranlaßt neue Rekri- 
minationen. Noch einmal — vielleicht das letzte Mal — ist das 
Kriegsglück auf sämtlichen Fronten den Verbündeten hold. 
Aber es ist nicht mehr die alte, ungetrübte Siegesstimmung. 
Dem Witterungssinn Tiszas können die Erlahmungszeichen an 
der inneren Front unmöglich entgehen. Noch täuscht er sich 
über sie vorübergehend hinweg, noch lenkt er von seinem 
Domizil auf dem Ofner Festungshügel die gesamte Kriegs¬ 
maschinerie des Habsburgreiches. Doch scheint das konzentri¬ 
sche Spiel der Kräfte bereits von heimatlichen Mißklängen 
gestört, und durch die Elogen über Heroismus und Sieg huscht 
die Vorstellung des keimenden Verfalls. 
Kurz nach Abflauen der parlamentarischen Erregungsära, 
in der zweiten Hälfte des Oktober, wird Tisza von der Hiobs¬ 
botschaft aufgescheucht, der österreichische Ministerpräsident 
Stürgkh sei von dem Sozialisten Fritz Adler ermordet worden. 
Tisza, von dem die Wiener ,,Neue Freie Presse“ erst unlängst 
bemerkt hat, er könne hart und weich zugleich sein, und aus 
seiner Marmorbrust quelle bisweilen ein warmer Born, streift 
f ür die nächten Tage alle Härte von sich und eilt tief erschüt¬ 
tert an die Bahre des Freundes. Man führte mitsammen man¬ 
ches ernste Gespräch, und auch das Ende aller Weisheit blieb 
hiebei nicht unerwähnt. „Wir wußten beide“ — bemerkt Tisza
	        
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