Volltext: Graf Stefan Tisza

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Audienz beim König legen die Fraktionsführer ihre Ämter als 
Vertrauensmänner der Opposition mit der Begründung nieder, 
sie seien nicht imstande, ihr Kontrollrecht weiter auszuüben 
und für die Fehler der Außenpolitik die Verantwortung zu 
übernehmen, Sie stellen die Forderung, daß die Delegationen 
einberufen werden mögen, damit sich eine regelrechte außen¬ 
politische Debatte ermögliche, ungeachtet des Umstandes, daß 
die unsicheren Zustände in Österreich, wo schon seit Kriegs¬ 
beginn ohne Parlament regiert wird, die Tagung der Delega¬ 
tionen nicht zulassen. Ein zweites Moment der Erregung ergibt 
sich durch den soeben verfügten Austausch tschechischer und 
ungarischer Garnisonen. Die Äußerung Tiszas, daß dieser Aus¬ 
tausch notwendig gewesen sei (den wahren Grund, der darin 
besteht, daß Böhmen gleichsam unter den Schutz fremder 
Truppen gestellt werden soll, muß er natürlich verschweigen), 
ruft einen Sturm hervor, wie er seit Kriegsbeginn noch nicht 
erlebt worden ist, und wirkungslos verhallt die Gewissens¬ 
mahnung, mit der sich Tisza an seine Gegner wenden zu müs¬ 
sen meint: „Vergessen Sie nicht, daß Ihr Verhalten seit Beginn 
des Krieges eine wertvolle Kraftquelle dieser kleinen Nation 
war und berauben Sie das Land dieser Kraftquelle nicht!“ 
In diese aufgeregte Atmosphäre platzt am 27. August 
1916 die Schreckensnachricht von der rumänischen Kriegs¬ 
erklärung. Umsonst versucht Tisza in wiederholten Privat¬ 
besprechungen mit den oppositionellen Führern, den Burg¬ 
frieden wieder herzustellen. Alles ist auf Kampf gestimmt, 
und die ohnehin schon arg zugespitzte Situation erfährt noch 
eine weitere, höchst bedenkliche Verschärfung, als die ersten 
Berichte über den Einbruch rumänischer Truppen in das 
wehrlos gebliebene Siebenbürgen publik werden, als sich wilde 
Gerüchte über blutige Willkürakte des rumänischen Militärs 
unter der ungarischen Bevölkerung verbreiten und die ersten 
siebenbürgischen Flüchtlinge in Budapest eintreffen. Die Par¬ 
lamentssitzungen am 5. und 6. September erinnern an die 
düstersten Perioden der Vergangenheit. Vergeblich versucht 
Tisza, sich Gehör zu verschaffen, auf die bereits getroffenen 
Abwehrmaßnahmen in Siebenbürgen hinzuweisen, die Pflicht 
zur Eintracht hervorzuhöben, den Bukarester Gesandten Czer- 
nin, dem man vorwirft, er habe sich durch die Kriegserklärung 
übertölpeln lassen, in Schutz zu nehmen, vergeblich erinnert 
er an die Besetzung französischer Gebiete, an die schweren 
Wochen Ostpreußens. Oppositionelle Mitte und Kärolyiisten
	        
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