Volltext: Graf Stefan Tisza

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Besitz gelangen, die parlamentarische Stimmung wieder recht 
verwildert. Andrässy fordert eine erhöhte Einflußnahme der 
Opposition auf die Außenpolitik. In seiner Antwort verweist 
Tisza auf die Widersprüche, die sich zwischen dem natür¬ 
lichen Verlangen der Opposition nach erhöhter Kontrolle und 
den Bedenken von militärischer Seite gegen die allzu freizügige 
Erfüllung dieses Wunsches ergeben. Er will immerhin sein 
Möglichstes tun, um den Kontakt mit der Opposition enger zu 
gestalten und die häufigere Anhörung ihrer Führer durch den 
Herrscher zu erwirken. Andrässy gibt sich mit dieser Ant¬ 
wort noch halbwegs zufrieden, nicht so aber Kärolyi, dessen 
Radikalismus sich in der jüngsten Zeit über alle Maßen ver¬ 
schärft hat. Er nimmt die Gelegenheit wahr, um offen Farbe 
zu bekennen und die Milderung der Gegensätze zwischen den 
kriegsführenden Mächtegruppen, also den Pazifismus inmitten 
des Krieges, als den Kardinalpunkt seines Programms zu 
bezeichnen. Eine derartige Stellungnahme bringt ihn in einen 
natürlichen Gegensatz zu dem Gros der Opposition, das immer 
noch auf dem Standpunkt des Durchhaltens und der kräftigen 
Gesten nach außen steht. Dieser Gegensatz hat Kärolyis Rück¬ 
tritt vom Präsidium der vereinigten Opposition und die Radi¬ 
kalisierung seiner Partei zur Folge, wodurch der Eindruck 
der politischen Einheitsfront nach außen bedenklich erschüt¬ 
tert wird. Das Programm der neuen Kärolyi-Partei, der u. a. 
der alte Unabhängigkeitsstürmer Justh, ferner Graf Theodor 
Batthyäny, der nachmalige Verfasser des Memoirenwerkes 
„Für Ungarn gegen Hohenzollem,“ und der Katholikenpriester 
und allzu weltliche Glanzprediger Johann Hock angehören, 
nimmt sich geradezu revolutionär aus. Man fordert die sofor¬ 
tige Bekanntgabe der Friedensbedingungen, die unverzügliche 
Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die nationale Armee, 
das selbständige Zollgebiet, eine radikale Agrarreform und 
ähnliches mehr. Mit einer wenig einleuchtenden Logik trachtet 
die neue Partei die chauvinistischen mit den Sozialrevolutionä¬ 
ren Forderungen zu verbrämen. Das erregt freilich nicht nur 
bei der Regierungspartei, sondern auch bei der übrigen Oppo¬ 
sition das schärfste Mißfallen. Die Fraktionen Andrässys und 
Apponyis finden sich nunmehr durch eine breite Gefühlskluft 
von dem Kärolyischen Programm getrennt. 
Das hindert aber den gemäßigten Flügel der Opposition 
keineswegs, mit seinen Mißtrauensattacken gegen Tisza fort¬ 
zufahren. Nach ihrer wenig zufriedenstellend verlaufenen
	        
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