Volltext: Graf Stefan Tisza

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zuvorkommend gehaltenen Brief dem Grafen Apponyi, dem 
Dolmetsch der oppositionellen Wünsche, mit. ,,Was meine 
Person betrifft“ — heißt es in diesem Schreiben —, „so ist es 
meine Überzeugung, daß ich das Betätigungsfeld, das in Hin¬ 
blick auf die auswärtigen und militärischen Angelegenheiten 
und sämtliche Relationen des öffentlichen Lebens, die einen 
Kontakt mit der gemeinsamen und der österreichischen Regie- 
rung erfordern, dem ungarischen Ministerpräsidenten zukommt, 
derzeit ohne Nachteil der vaterländischen und monarchischen 
Interessen nicht verlassen kann.“ Die Gegner halten jedoch an 
ihrer Forderung fest, daß das Kabinett Tisza zurücktreten 
möge. Tisza erklärt nun in einem zweiten, ebenfalls sehr loyal 
verfaßten Schreiben an Apponyi, den Umstand, daß die Oppo¬ 
sition den Eintritt in seine Regierung verweigert habe, aus¬ 
schließlich altruistischen Erwägungen zuschreiben zu wollen, 
andererseits aber auch von der Gegenseite zu erwarten, daß sie 
seinen Entschluß, an der Spitze der Regierung zu verharren, 
nicht mißverstehen werde. Das feindselige Verhalten Italiens 
sei kein Beweis für die Unrichtigkeit der bisher verfolgten 
Außenpolitik. Im übrigen nehme er von den Oppositions¬ 
führern auch in Hinkunft gern Anregungen und Ratschläge 
entgegen und stehe ihnen in jeder Hinsicht bereitwillig zur 
Verfügung. 
Knapp nach erfolgter Kriegserklärung Italiens werden 
auf den. Vorschlag Tiszas die Führer der Minderheitsparteien, 
die Grafen Apponyi, Andrässy und Zichy, in königlicher 
Audienz empfangen. Das Parlament geht für mehrere Monate 
in die Ferien, nachdem Tisza in einer zündenden Ansprache 
das Vorgehen Italiens gebriandmarkt und die ganze Nation zur 
einmütigen Erhebung gegen den neuen Feind aufgerufen hat, 
und es folgt nun wieder ein Zeitabschnitt der innerpolitischen 
Ruhe. Im Lande herrscht immer noch ein Gefühl der Ein¬ 
tracht und der Siegeszuversicht, das der Stabilität der Regie¬ 
rung förderlich ist. Der Erfolg der verbündeten Truppen in 
Galizien und Russisch-Polen, Bulgariens Beitritt zu dem Bund 
der Mittelmächte und das sieghafte Vordringen in Serbien 
begünstigen die einvernehmliche Stimmung. Tisza nutzt dieses 
friedliche Intervall zu wirksamen Kundgebungen. Aufs 
freundlichste empfängt er eine sozialistische Abordnung und 
stellt ihr eine weitgehende Eliminierung ihrer Beschwerden in 
Aussicht. Anfang September aber führt er eine große Huldi¬ 
gungsdeputation zum greisen Herrscher nach Wien, in deren
	        
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