Volltext: Graf Stefan Tisza

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nationalen Eintracht, deutet an, daß eine Überprüfung des 
Wahlrechtes erst nach dem Kriege angebracht sei, vorerst gebe 
bs viel dringlichere Probleme, darunter an erster Stelle die 
Invaliden- und Hinterbliebenenfürsorge, zu lösen. 
Aber die Interpellationsflut will nicht wieder abflauen. 
Der sieghafte Durchbruch an der galizischen Front weckt 
zwar ein einmütiges Triumphgefühl, doch in unmittelbarer 
Folge ist es die italienische Frage, die den Widerspruchsgeist 
der Opposition erneut anfacht. Die Gerüchte über die Italien 
angebotenen Gebietskonzessionen sind Wasser auf die Mühle 
der Unzufriedenen. Rakovszky und Kärolyi fordern den 
Ministerpräsidenten auf, sich über die auswärtige Lage zu 
äußern. Auf eine Anfrage Andrässys erklärt sich denn Tisza 
auch bereit, über die Verhandlungen mit Italien Rechenschaft 
zu geben, und gesteht zu, daß der italienischen Regierung 
behufs Sicherung einer dauernden Neutralität Gebiete ange- 
boten worden seien. Die verantwortlichen Staatsmänner der 
Monarchie hätten sich bei diesem Schritt durch die Intention 
leiten lassen, die Hindernisse eines künftigen Einvernehmens 
zwischen den beiden Mächten zu beseitigen. 
Diese Aufklärungen wirken indes nichts weniger als 
befriedigend. Es besteht die entschiedene Absicht, die Schuld 
für die Zuspitzung der italienischen Lage Tisza in die Schuhe 
zu schieben. Man verargt ihm nicht etwa, die territorialen 
Zugeständnisse an Italien zu spät, sondern sie überhaupt ange- 
boten zu haben. Die Oppositionsführer sind von dem Maß 
ihrer außenpolitischen Informiertheit unbefriedigt, sie wün¬ 
schen unmittelbaren Einfluß auf die Regierungsgeschäfte zu 
nehmen, so zwar, daß Tiszas führende Stellung, gegen die der 
alte persönliche Groll und Gefühlswiderstand wieder erwacht, 
erheblich zugestutzt werde. Der Gedanke eines Konzentrations¬ 
kabinetts taucht in der Form auf, daß die Regierung Tisza 
demissionieren und daß sich unter der Leitung eines Politikers 
von Mittelstellung, etwa unter der Wekerles, die Vertreterder 
verschiedenen Parteien in die Regierung teilen würden. Das 
geht für Tiszas Geschmack denn doch zu weit. Er ist bereit, 
die Oppositionsführer in sein Kabinett aufzunehmen, um 
dieserart die Fortdauer des Burgfriedens zu sichern. Die Lei¬ 
tung aus den Händen zu geben, auf die Fortführung seines 
seit Monaten aufgebauten Wirkungskreises auf den bloßen 
Wunsch der Minorität hin unvermittelt zu verzichten, ist er 
nicht gesonnen. Er teilt dies am 21, Mai in einem durchweg 
Erenyi: Graf Tisza, 
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