Volltext: Graf Stefan Tisza

269 
wiewohl er uns zur Verfügung stehe und die einzige Sehnsucht 
habe, in dieser schweren Lage der öffentlichen Sache zu die¬ 
nen. Ich eröffnete ihm hierauf, daß wir seine Betrauung mit 
dem römischen Botschafterposten erwogen haben und uns nur 
dadurch zurückhalten ließen, daß diese Ernennung ein zu 
großes Aufsehen erregen und das Ziel gefährden würde.“ 
Auch sonst betrachtet Tisza die Kriegsära als eine solche 
der innerpolitischen Versöhnung. Einem oppositionellen Ab¬ 
geordneten, der sich ihm anzubiedern versucht, versichert er, 
wegen der Ausbrüche des Hasses, die er bei Erfüllung seiner 
Pflicht erdulden mußte, nie Zorn oder Vergeltungsdrang emp¬ 
funden zu haben. Die Nationalitätenfrage ist er stets bestrebt, 
in konziliantestem Sinne zu behandeln. „Die ungarische Sache 
fördern wir nicht durch Äußerlichkeiten“ — schreibt er an 
den Obergespan einer slowakisch bevölkerten Gegend —, „die 
zwar den Schein der Spracheinheit erwecken, aber anderer¬ 
seits auch die Sympathien der ungarischen Behörden bei den 
Nationalitäten schwächen, sondern indem sich die Behörde als 
der wahre Freund und Ratgeber des ihm anvertrauten Volkes 
erweist. Dies ist aber bloß möglich, wenn man mit den Leuten 
in einer Sprache verkehrt, die ihnen verständlich ist.“ 
Hier sei vermerkt, daß man sich wohl keinen taktvolleren 
Chef als Tisza vorstellen kann, wenn es gilt, Untergebenen einen 
Verweis zu erteilen. Wie weit sein Zartgefühl in dieser Hin¬ 
sicht geht, erhellt besonders charakteristisch aus einem Fall, 
in dem er nicht umhin konnte, das Versäumnis eines hohen 
Angestellten zu rügen. Um das Selbstgefühl des betreffenden 
Herrn nicht zu verletzen und den Anschein zu erwecken, als 
ob niemand sonst von der Affäre wüßte, läßt er den in Frage 
stehenden Brief von seinem Sekretär, dessen Schrift der sei- 
nigen täuschend ähnlich sieht, abschreiben. Sodann gibt er 
sich aber auch mit dieser Lösung nicht zufrieden und ent¬ 
schließt sich — obwohl ihm das Schreiben wegen seines Augen¬ 
leidens äußerst schwer fällt —, den Brief eigenhändig nieder¬ 
zuschreiben. 
In Briefen, die Tisza nach Deutschland an alte Bekannte 
der Familie, an gewesene Erzieher, Pastoren usw. richtet, 
trachtet er bezeichnenderweise, die Leistungen der österrei¬ 
chisch-ungarischen Truppen hervorzuheben und sie den deut¬ 
schen Leistungen ebenbürtig zur Seite zu stellen. „Im großen 
Weltkampfe, der uns auf gezwungen wurde, hat einstweilen 
Österreich-Ungarn das schwerere Los“, — heißt es in einem
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.