Volltext: Graf Stefan Tisza

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einmal anerkannt •— restlos erfüllt werden will. Bei der 
ungarischen Wahlrechtsdebatte spielen Zahlen eine vielzugroße 
Bolle. Tisza findet die Erhöhung der Wählerzahl von 1,100.000 
auf 2,400.000, d. h. von 6% auf 13y2% der Landesbevölkerung, 
wie es im Projekt Andrässys vorgesehen war, für übertrieben 
und stellt es schon als einen ansehnlichen Fortschritt hin, 
wenn im Sinne seines eigenen Entwurfes nunmehr 800.000 
neue Wähler über die Zusammensetzung des Parlaments ent¬ 
scheiden sollen. Ein Mehr erscheint ihm für die politische Zu¬ 
kunft von verderblicher Wirkung. Hängt aber das Lebens¬ 
schicksal einer Nation allen Ernstes von der minutiösen Er¬ 
wägung solcher Zahlen ab? 
Das Verhalten Tiszas in der Wahlrechtsfrage ist durch 
Eingebungen des Konservativen und zugleich durch solche 
des Realpolitikers bedingt. Jener liefert gleichsam das wis¬ 
senschaftliche Material für diesen. Er trachtet, vermittels ge¬ 
schichtlicher und zeitpolitischer Analysen, in eingehender Un¬ 
tersuchung des Falles England, Frankreich, Deutschland und 
Österreich, die politisch zersetzenden, vom reinen Parlamenta¬ 
rismus zur Pöbelherrschaft hinüberleitenden Folgen des all¬ 
gemeinen Wahlrechts zu demonstrieren. Sozialistischer Vor¬ 
marsch, Eindringen neuer, minder gebildeter Elemente in die 
gesetzgebende Körperschaft, Verfall des parlamentarischen 
Verhandlungsniveaus, wachsender Internationalismus und Zu¬ 
spitzung der chauvinistischen Gegensätze halten als Argu¬ 
mente her, um den Leuten den Geschmack am allgemeinen 
Wahlrecht zu nehmen. Überdies wird im Falle Ungarn auch 
mit der mangelnden Reife weiter Schichten — besonders bei 
der Landbevölkerung — argumentiert, wiewohl doch Tisza in 
anderem Zusammenhang von den Qualitäten des ungarischen 
Bauers eine sehr hohe Meinung hegt. Das alles aber sind bloß 
Beruhigungspillen für den Patrioten, dem es bereits Jahr¬ 
zehnte vor dem Friedensvertrag von Trianon um die Unver¬ 
sehrtheit seines polyglotten Landes bangt, der an den Gren¬ 
zen Gefahren aufziehen sieht, die der Aufmerksamkeit des 
Durchschnittspolitikers noch völlig entgehen, und der wie die 
Pest eine politische Neuordnung fürchtet, die Nationalitä¬ 
ten und Sozialisten in größerer Zahl ins Parlament bringen und 
durch deren Einwirkung die Grundfesten des geschichtlichen, 
sich von den Karpathen bis zur Adria erstreckenden Einheits¬ 
staates erschüttern könnte. 
Sind solche Befürchtungen aber auch real begründet?
	        
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