Volltext: Graf Stefan Tisza

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rufung auf den siebenundsechziger Ausgleich aufs Schärfste 
widersetzen. 
Die Regierungskrise ist diesmal nur von kurzer Dauer. 
Tisza verwahrt sich im Ausschuß seiner Partei energisch gegen 
die Einmengung „auswärtiger Faktoren'“ in interne ungarische 
Angelegenheiten und namentlich auch gegen die Verquickung 
der Armeefrage mit dem Wahlrechtsproblem. Der greise 
Monarch aber, der sich gegen seine treuesten Ratgeber ent¬ 
schieden hat, befindet sich in einem furchtbaren Gewissens¬ 
dilemma. Der sonst stets bürokratische, niemals aus dem 
Hoheitsbereich der Unpersönlichkeit heraustretende alte 
Franz Joseph wird plötzlich sentimental und droht mit der 
Abdankung. Unter dieser allerhöchsten Pression weicht Khuen- 
Hederväry doch zurück, läßt sich bestimmen, an seinem 
Posten zu verharren und dem Parlament eine königliche Hand¬ 
schrift vorzulegen, in der die ungarische Nation „in vollem 
Vertrauen“ auf gef ordert wird, die Lösung des Armeeproblems 
in einer mit dem Gewissen des Königs zu vereinbarenden 
Form zu versuchen. 
Aber die Lage ist heillos verfahren. Umsonst appelliert 
Tisza in einem Osterartikel an die Parteien, den Gewissens¬ 
konflikt des Monarchen zu respektieren und der Pflichten 
eingedenk zu sein, die die Nation ihrem König schulde. Die 
Obstruktion greift auf sämtliche Oppositionsreihen über, sie 
nimmt wieder die wildesten Allüren an bis zur Bestürmung der 
Präsidentenestrade, und Graf Khuen-Hederväry sieht sich 
wenige Tage nach Restituierung seines Kabinetts zum defini¬ 
tiven Rückgang genötigt. Ende April 1912 erfolgt die Er¬ 
nennung eines Kabinetts Lukäcs, und gleichzeitig erhebt sich 
das Gerücht, Graf Stefan Tisza kandidiere auf die Hauspräsi¬ 
dentenstelle, um von diesem autoritativen Posten aus die 
Obstruktion erbarmungslos niederzubrechen und seine lang¬ 
gehegten parlamentarischen Reformpläne unbekümmert um 
Tod und Teufel zu verwirklichen.
	        
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