Volltext: Graf Stefan Tisza

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Stadium der Dinge erwartet hätte. Er hofft, ein gesunder 
Instinkt werde die Obstruierenden doch noch im letzten Augen¬ 
blick zur Umkehr bewegen. Die Großmachtstellung der Mon¬ 
archie stehe in Frage, und es sei eitles Geschwätz, daß 
Ungarn auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Großmacht in 
seinem gegenwärtigen Umfang bestehen könne. Das Donau¬ 
becken in eine „östliche Schweiz“ umzuformen, sei nicht 
möglich. Von der Völkerwanderung bis zum Vordringen des 
Islams habe für Ungarn stets das Bedürfnis einer Anlehnung 
an fremde Mächte bestanden, und nun sei eine Großmacht in 
diesen geographischen Breiten erst recht unerläßlich, um gegen 
die Weltmachtaspirationen von drei Seiten eine Schutzwand 
zu bilden. Es handle sich um die Schaffung einer stärkeren 
stehenden Armee, damit die Einberufung der Ersatzreserve, 
deren Notwendigkeit sich in den vergangenen Jahren so oft 
ergeben hat, vermieden werden könne. Militärische Kraft sei 
die erste Voraussetzung jeder möglichen Außenpolitik. Tisza 
lehnt ein Junktim zwischen Wahlreform und Armeereform 
ebenso ab, wie eines zwischen nationalen Forderungen und 
Armeereform. Er bittet die Opposition, endlich von den Phra¬ 
sen abzusehen, dann bestehe gar keine so große Differenz 
zwischen rechts und links. Man werde die oppositionelle These, 
daß man ein umso größerer Patriot sei, je weniger man zur 
Wehrfähigkeit der Armee beitrage, außerhalb der ungarischen 
Grenzen nie verstehen. 
Doch auch dieser Kassandraruf verhallt wirkungslos, 
gleich Tiszas ähnlichen Ermahnungen in der Vergangenheit. 
Man ist auf der Gegenseite von seinen außenpolitischen Be¬ 
denken, die der Ausbruch des Balkankrieges ein Jahr später 
in verhängnisvoller Weise bestätigen wird, recht wenig er¬ 
griffen. Die Gegnerschaft zwischen Tisza und Andrässy nimmt 
immer schärfere Formen an. Andrässy erklärt in einem 
Zeitungsartikel, Tisza zwar persönlich als einen mannhaften 
Charakter zu achten, umso mehr jedoch seine Entgleisungen 
ins Persönliche und Martialische bedauern zu müssen, durch 
die er sich unnötigerweise Feinde verschaffe. Tisza antwortet 
gereizt, die Polemik artet immer mehr aus. In den Parlaments¬ 
couloirs apostrophiert Tisza seinen Gegner als einen „vehemen¬ 
ten Propheten der Unbeholfenheit“ und schleudert ihm den 
Vorwurf ins Gesicht, das Land ins Verderben zu stürzen. „Wir 
werden wohl einander nie verstehen, unsere Wege scheinen 
sich endgültig zu trennen“ ? — fügt er erbittert hinzu.
	        
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