Volltext: Graf Stefan Tisza

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Ausschuß seinerzeit aufgestellten Forderungen der ungari¬ 
schen Militärjudikatur und der ungarischen Embleme sich auch 
dann zu eigen machen würde, wenn von einer Rekrutenver¬ 
mehrung gar keine Rede wäre. Nun aber, da diese Frage hoch¬ 
aktuell ist, könne für ihn einzig und allein der Gesichtspunkt 
maßgebend sein, ob die Unabhängigkeit und Aktionsfreiheit 
der ungarischen Nation eine solche Erhöhung der Militär¬ 
kräfte erheische oder nicht. 
Um wenigstens den einen Eckpfeiler des nationalen Wider¬ 
standes zu beseitigen, wird die Bankfrage energisch in Ver¬ 
handlung genommen, mit dem Zwecke, eine Verlängerung der 
Bankgemeinschaft bis 1917 zu erzielen. Aber schon bei der 
Debatte über diesen Gesetzentwurf bricht die alte Wunde 
wieder auf; ein Monate lang währender parlamentarischer 
Kampf wird vom Zaune gebrochen, und in diesem Konflikt 
findet man alle alten Oppositionsgeister wieder im selben 
Lager. Auch Andrässy, um dessen Anschluß; an die Regierungs¬ 
partei Tisza bislang vergeblich warb, erklärt sich nun mit den 
Regierungsgegnern solidarisch, nimmt in der Bank-, Armee- 
und Wahlrechtsfrage einen Sonderstandpunkt ein, der sich 
zwar bloß in Nuancen von der offiziellen Politik unterscheidet, 
doch immerhin zur schärfsten Kampfansage verleitet. Im Mit¬ 
telpunkt der gouvernementalen Schlachtfront steht der Finanz¬ 
minister Lukäcs. Durch seine Enthüllungen über die doppel¬ 
züngige Koalitionswirtschaft holt er sich hier bereits die Feind¬ 
schaften, die ihn zwei Jahre später vom politischen Schauplatz 
wegfegen werden. 
Diese Zuspitzung der Gegensätze weckt natürlich auch 
die Kampfinstinkte Tiszas zu neuer Vitalität. In einer Rede 
an seine Arader Wähler konstatiert er das Wiederaufleben der 
Obstruktion. Auch heute seien der parlamentarischen Minder¬ 
heit, just wie in den Zeiten vor Bildung der Koalition, die 
technischen Mittel gegeben, um die Verabschiedung der selbst¬ 
verständlichsten Gesetzentwürfe Monate und Jahre lang hinter¬ 
treiben zu können. „Vielleicht habe ich das moralische Recht“ 
— fährt Tisza fort —, „mich mit einem inständigen Mahnruf 
an die Oppositionsführer und an jeden redlich denkenden 
Ungarn zu wenden. Man möge bedenken, daß ein reibungslos 
funktionierender Parlamentarismus uns alle gleich nahe be¬ 
rührt und das einzig sichere Unterpfand für den Fortbestand 
der ungarischen Nation bildet.“ Man will bereits von einer 
Geheimkonferenz wissen, die unter Tiszas Vorsitz stattgefun¬
	        
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