Volltext: Graf Stefan Tisza

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gen fest und ist weit davon entfernt, einer Wiederkehr der 
„Tisza-Dynastie1“ Vorschub zu leisten. Aber auch unter den 
Altliberalen gibt es manche, die die Gesten und Methoden 
Stefan Tiszas ablehnen. Sie scharen sich um den jüngeren 
Julius Andrässy, der — ebenfalls Sohn eines großen Vaters, 
Tiszas Jugendgefährte, auch in seinen inner- und außen¬ 
politischen Zielen ganz in der gleichen Fährte wie Stefan Tisza 
wandelnd — sich bloß durch Temperamentsunterschiede und 
ein uneingestandenes Gefühl der Eivalität von der Tisza-Front 
abseits hält. So muß denn Tisza bereits nach drei Tagen zur 
Einsicht kommen, daß sein Unternehmen einstweilen aussichts¬ 
los sei, und seine Betrauung in die Hände des Herrschers zu¬ 
rücklegen. 
In einem Kommunique an die Presse weist er in der ihm 
eigenen pointierten Art auf die Beweggründe seines Ver¬ 
zichtes hin: „Das Land befindet sich in einer schwierigen und 
bedenklichen Lage. Ist man von einer Möglichkeit der Ent¬ 
wirrung überzeugt, so wäre es eine niederträchtige Feigheit, 
sich der Aufgabe nur deshalb zu entziehen, weil sie Gefahren 
für den Vollbringer in sich birgt. Doch wfäre es andererseits 
widersinnig, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, wenn die 
Vorbedingungen der Entwirrung weder in der Lage, noch in 
den Leuten gefunden werden können.“ Auch motiviert er sein 
Vorgehen in einem Offenen Brief an seine Wähler. Hier sagt 
er es frank und frei heraus, daß er die Überzeugung gewonnen 
habe, auf die Unterstützung gewisser Elemente in der Libera¬ 
len Partei nicht zählen zu dürfen. Der Brief gipfelt in dem 
dithyrambischen Ausruf: „Von dem eitlen Schein falscher 
Losungsworte geblendet, treibt die Nation dem Verderben zu. 
Erwachen wir doch, solange es nicht zu spät ist! Jede Minute, 
die uns noch zu Gebote steht, ist teuer, damit wir vom Lande 
den furchtbarsten Schicksalsschlag abwenden, der einer 
Nation nur zustoßen kann: durch unsere eigene Schwäche und 
Kurzsichtigkeit den Zusammensturz des stolzen, tausend¬ 
jährigen Baues der ungarischen Freiheit verschuldet zu 
haben.“ 
So soll denn bis auf weiteres doch Graf Khuen-Hederväry 
mit seinen konzilianteren Methoden noch einen letzten Versuch 
riskieren. Tisza harrt im Hintergründe — dem Grafen Khuen- 
Hederväry übrigens persönlich zugetan — des Augenblicks, in 
dem es zur Kettung seines bedrohten Landes noch nicht zu 
spät ist. Das Vertrauen seines Königs genießt er bereits in
	        
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