Volltext: Graf Stefan Tisza

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Abneigung gegen die Vorgänge im ungarischen Abgeordneten¬ 
haus noch erheblich zu verschärfen. 
Von Mitte Mai ab sorgt der Monarch in geheimen Ver¬ 
handlungen für einen tauglichen Ersatz, um das Kabinett Szell 
im geeigneten Moment entlassen zu können. Zwei Männer 
stehen im Vordergrund dieser Verhandlungen. Der eine von 
ihnen ist Graf Khuen-Hederväry, Banus von Kroatien seit 
annähernd zwanzig Jahren. Dort wußte er unter den verzwei¬ 
feltesten Verhältnissen immer wieder Ordnung zu schaffen, 
vielleicht gelingt ihm das Gleiche auch im ungarischen Parla¬ 
ment. Schon seit den Tagen Wekerles steht er als Vertrauens¬ 
mann der Krone immer wieder im Vordergrund der Kombi¬ 
nationen. Der zweite Mann, auf den die "Wahl des Herrschers 
fällt, ist Graf Stefan Tisza. Seine Bereitschaft zur Nieder¬ 
brechung der Obstruktion mit Schwert und Feuer ist dem 
Kaiser-König wohlbekannt. Er schätzt in ihm den Sohn seines 
altbewährten Ministerpräsidenten. Der Betrauung Stefan Ti- 
szas standen bisher seine Jugend und gewisse taktische Be¬ 
denken im Wege. Nun soll er im Einvernehmen mit Khuen- 
TIederväry die Entwirrung wagen. Aber dieses Einvernehmen 
will nicht glücken. Wir erfahren hievon Näheres wieder — wie 
zur Zeit der Wekerle-Krise — aus Tiszas eigenen Aufzeichnun¬ 
gen. Die beiden Männer suchen die Lösung der Krise nach 
grundverschiedenen Methoden. Khuen-Hederväry ist Kon¬ 
zessionspolitiker, denkt daran, die Heeresvorlage zunächst 
zurückzuziehen und vorerst die aufgebrachten Oppositions¬ 
geister zu besänftigen. Tisza sieht seinen Weg klar vorge¬ 
zeichnet. Auch er will die Armeenovelle für kurze Zeit zurück¬ 
stellen, doch bloß, um vorher die Geschäftsordnungsrevision 
zu erzwingen. Erst wenn dieses Haupthindernis niedergerannt 
ist, soll alles übrige kommen: Heeresreform, Sozialreform, ein 
neuer Wirtschaftskurs, die Befestigung und Erneuerung des 
gesamten staatlichen und doppelstaatlichen Lebens. Der Mon¬ 
arch macht sich Tiszas Pläne zu eigen. Am 16. Juni demissio¬ 
niert das Kabinett Szell, und Tisza beginnt seine Verhandlun¬ 
gen als designierter Ministerpräsident. 
Mit größtem Eifer knüpft Tisza Fäden an, um für sein 
Projekt des Niederwälzens eine zuverlässige Mehrheit zu ge¬ 
winnen. Aber seine Stunde hat noch nicht geschlagen. Sein 
Versuch scheitert an den Spaltungssymptomen in der eigenen 
Partei. Die Apponyi-Gruppe, diese Opposition innerhalb der 
Regierungspartei, hält nach wie vor an ihren Militärforderun-
	        
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